Anfang Oktober fand das 5. Netzwerktreffen, noch einmal im virtuellen Raum, statt. Nach einer kurzen „Update“-Runde zu aktuellen Projekten an den unterschiedlichen Standorten, stellten die Kolleg*innen der Universität Göttingen (Prof.’ Carola Suhrkamp & Rajmund Bethge) und der TU Dortmund (Prof.’ Carolyn Blume) zwei Vorhaben umfassender vor. Mit „And the Oscar goes to … inclusion“ präsentierten Surkamp und Bethge ein inklusives und diversitätssensibilisierendes Lehrkonzept im Master of Education. Im Setting eines geisteswissenschaftlichen Schülerlabors, nimmt das Projekt das handlungs-, projekt- und aufgabenorientierte Lernen in den Blick. Carolyn Blume stellte ihr Seminar „Inclusive EFL in a Digital World“, inklusive produzierter Studierenden-Ergebnisse und erster Evaluationsergebnisse vor.Im Sommer 2022 wird das nächste Treffen stattfinden. Inhaltlicher Fokus: A Lesson Planning Framework for Universal Design for Foreign Language Learning.
Kategorie: Allgemein
Universal Design for Learning (UDL) und inklusiver Englischunterricht
von Katharina Krause
Beim Netzwerktreffen Inklusiver Englischunterricht in Köln wurde am 27. August 2019 das Potenzial des Universal Design for Learning (UDL) in fremdsprachendidaktischen Settings diskutiert.
Das UDL-Konzept ist Ende des 20. Jahrhunderts aus der Universal Design-Bewegung in der Architektur in den USA entstanden und hat sich zum Ziel gesetzt, nicht nur bauliche Maßnahmen, sondern auch Lehr-Lernsettings von Anfang an so zu gestalten, dass sie für ein möglichst breites Spektrum an Menschen zugänglich sind und möglichst wenig nachträgliche Einzelanpassungen vorgenommen werden müssen. Aus Erkenntnissen der Lehr-Lernforschung und der Neurowissenschaften wurden drei allgemeine Prinzipien abgeleitet, die dabei helfen können, Lernbarrieren vorzubeugen bzw. abzubauen. Ausgehend von einer natürlichen Vielfalt der Lernenden sollten daher bei der Gestaltung von Lehr-Lernsettings von Anfang an verschiedene Möglichkeiten mitgedacht werden, wie Lernmotivation und -engagement gefördert (UDL-Prinzip: Provide multiple means of Engagement) und Informationen für alle zugänglich gemacht werden können (UDL-Prinzip: Provide multiple means of Representation). Zudem sollten verschiedene Optionen zur Verarbeitung von Informationen und Präsentation von Lernergebnissen durchdacht werden (UDL-Prinzip: Provide multiple means of Action & Expression), um verschiedenen Bedürfnissen und Potenzialen in einer Lerngruppe besser gerecht werden zu können. Die vom Center for Applied Special Technology (CAST) veröffentlichten Guidelines und Checkpoints, die eine operationalisierende Hilfe zur Umsetzung der UDL-Prinzipen darstellen, sowie weitere Informationen und Links zum UDL-Framework, das mittlerweile in der amerikanischen schulpolitischen Gesetzgebung verankert ist, sind z.B. auf der folgenden Homepage zu finden: http://udlguidelines.cast.org/.
Um UDL erfolgreich implementieren zu können, ist es wichtig die UDL-Guidelines als fächerübergreifenden blueprint zu verstehen. Erst vor dem Hintergrund von konkreten curricularen transparenten Lernzielen, einer Analyse des Themas bzw. Entwicklungslogik des Lerngegenstands sowie Kenntnissen über die Lernvoraussetzungen der entsprechenden Schüler*innen können fachdidaktisch geeignete Materialien, Medien, Methoden und Assessment-Formen ausgewählt werden, sodass möglichst viele Lernende angestrebte kommunikative Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht (evtl. auch auf unterschiedlichen Niveaus) ausbauen und festigen können (vgl. Krause & Kuhl, 2018). In diesem Sinne kann UDL z.B. dazu genutzt werden, Lernbarrieren auf dem Weg zu in Lehrplänen definierten Standards und Kompetenzen abzubauen und unterschiedliche Wege und Strategien zur Zielerreichung zu ermöglichen. Es kann aber auch eine Anregung für die fachdidaktische und fachwissenschaftliche Forschung, Lehre und Bildungspolitik sein, bestehende Bildungsstandards, Planungskonzepte, Formen von Lernzielkontrollen und Unterrichtsmethoden weiterzuentwickeln, die Entwicklungslogik von kommunikativen Kompetenzen weiter zu erforschen oder Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien auf universelle Zugänglichkeit zu überprüfen.
Da es sich bei den UDL-Guidelines um eine Zusammenstellung von evidenzbasierten Lehr-Lernstrategien handelt, kann dabei an bisher gewonnene Erkenntnisse und Konzepte aus der Fremdsprachendidaktik angeknüpft werden. An einer fachspezifischen Implementierung des UDL-Konzepts, das lediglich übergreifende Handlungsimpulse zur Herstellung und Prüfung von universeller Zugänglichkeit aufzeigen kann, muss jedoch gearbeitet werden. Im Rahmen des Netzwerktreffens wurde u.a. eine erste Unterrichtsplanungshilfe zur systematischen Integration von UDL-Elementen in Englischstunden diskutiert (Krause, in Vorbereitung). UDL birgt zudem das Potenzial, Inklusion verstärkt als qualitative Weiterentwicklung von gutem Fachunterricht für alle Lernenden mit hohen Standards zu begreifen und einer Verengung der Inklusions-Debatte auf Lernende mit attestiertem sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf entgegenzuwirken.
Literatur
Hall, T. E., Meyer, A. & Rose, D. H. (2012). Universal Design for Learning in the Classroom. Practical Applications. New York: Guilford Press.
Krause, K. (in Vorbereitung). Unterrichtsplanung mithilfe des Universal Design for Learning. Professionalisierung angehender Englischlehrkräfte für den inklusiven Unterricht. Dissertation. TU Dortmund.
Krause, K. & Kuhl, J. (2018). Was ist guter inklusiver Fachunterricht? Qualitätsverständnis, Prinzipien und Rahmenkonzeption. In B. Roters, D. Gerlach & S. Eßer (Hrsg.), Inklusiver Englischunterricht. Impulse zur Unterrichtsentwicklung aus fachdidaktischer und sonderpädagogischer Perspektive (S. 175-195). Münster: Waxmann.
Meyer, A., Rose, D. H. & Gordon, D. (2014). Universal Design for Learning. Theory and Practice. Wakefield, MA: CAST Professional Publishing.
Nelson, L. L. (2014). Design and Deliver. Planning and Teaching Using Universal Design for Learning. Baltimore: Paul H. Brookes Publishing Co.
Novak, K. (2014). UDL NOW! A Teacher’s Monday-Morning Guide to Implementing Common Core Standards Using Universal Design for Learning. Wakefield, MA: CAST Professional Publishing.
Rao, K. & Meo, G. (2016). Using Universal Design for Learning to Design Standards-Based Lessons. SAGE Open, 6 (4), 1-12. doi:10.1177/2158244016680688
Rapp, W. H. (2014). UDL in Action – 100 Ways to Teach All Learners. Baltimore: Paul H. Brookes Publishing Co.
Rose, D. H. & Meyer, A. (2002). Teaching every student in the digital age: Universal Design for Learning. Alexandria, VA: Association for Supervision and Curriculum Development.
Schlüter, A.-K., Krabbe, C., Melle, I., Krause, K., Wember, F. B., Grimminger-Seidensticker, E., Lautenbach, F., Heberle, K. & Kranefeld, U. (2018). Universitäre Vorbereitung angehender Lehrkräfte auf inklusiven Unterricht – Seminarkonzeptionen zur Professionalisierung für inklusiven Fachunterricht. Zeitschrift für Heilpädagogik, 69 (12), 582-595.
Gesammelte Reflexionsfragen
Die folgenden Reflexionsfragen sind im Anschluss an die Vorstellung und Diskussion des Konzepts beim Netzwerktreffen entstanden. Sie wurden im Anschluss wie folgt kategorisiert: Reflexionsfragen zum Beitrag von UDL zur Inklusionsdebatte [INKL], Reflexionsfragen zum Beitrag von UDL zur Lehrer*innenaus- und -weiterbildung [LB] und Reflexionsfragen zum Beitrag von UDL zur Weiterentwicklung der Fachdidaktik Englisch/Französisch [FD]
Reflexionsfragen zum Beitrag von UDL zur Weiterentwicklung der Fachdidaktik Englisch/Französisch
- In welchem Zusammenhang stehen curriculare Anforderungen und Prinzipien des UDL? An welchen Stellen widersprechen Studien bestimmten Herangehensweisen?
- Verglichen mit Ansätzen in der deutschen Fachdidaktik, welchen fachdidaktischen Mehrwert bietet UDL?
- Wie verhält sich UDL ganz generell zu anderen Ansätzen der deutschsprachigen/internationalen Englischdidaktik (bspw. Inclusive Pedagogy oder das Differenzierungsparadigma) – wo ergeben sich ggf. Überschneidungen, wo Abgrenzungen?
- Wie lässt sich UDL fremdsprachendidaktisch so greifen, dass es nicht als allgemeinpädagogisch-differenzierende Maßnahme angesehen wird, die über Fächergrenzen hinweg immer gleich funktioniert?
- Welche Potentiale bietet der Ansatz nicht nur für instruktivistische Unterrichtssettings?
- Wie kann das vielschichtige Modell als konkretes Planungsinstrument für den Englischunterricht praktikabel gemacht werden?
- Inwiefern sind Modifikationen des UDL-Instruments nötig, um es für die Spezifika des Englischunterrichts nutzbar zu machen? Welche Aspekte könnten reduziert, welche müssten ggf. hinzugefügt werden?
- Inwieweit gehen diese potentiellen Modifikationen mit deutlichen Schwerpunktsetzungen einher und wie wären diese (fach)didaktisch zu legitimieren?
- In welchem Verhältnis stehen UDL, Sonderpädagogik und Fremdsprachendidaktik zueinander? Wo zeigen sich Schnittbereiche, wo Abweichungen? Könnte sich UDL eignen, um Konzepte aus der Sonderpädagogik in den Fremdsprachenunterricht zu integrieren?
- Inwiefern lässt sich UDL ins Lernaufgaben-Planungs-Modell für inklusiven Englischunterricht (Eßer, Gerlach & Roters, 2018) integrieren?
Reflexionsfragen zum Beitrag von UDL zur Inklusionsdebatte
- Wie passt UDL in die gängige Konzeption inklusiven Fachunterrichts entlang des Feuser’schen Gemeinsamen Gegenstandes?
- Warum lässt sich das Modell grundsätzlich für den Englischunterricht insbesondere in sehr heterogenen Lerngruppen nutzen?
- [LB] Welche Elemente lassen sich grundsätzlich übertragen, welche müssen modifiziert werden, welche fehlen für den unterrichtlichen Kontext an deutschen Schulen?
- In welchem Verhältnis stehen die Begriffe UDL, Inklusion, heterogenitäts- und diversitätssensibler Unterricht zueinander?
Reflexionsfragen zum Beitrag von UDL zur Lehrer*innenaus- und -weiterbildung
- Wie kann das Modell bestmöglich in die theoretische und praktische Ausbildung (zukünftiger) Lehrkräfte schrittweise eingebunden sowie darin erschlossen und angeeignet werden?
- Welches Hintergrundwissen ist in welchem Maße für die Prozesse der Auseinandersetzung mit dem Modell sowie dessen Erschließung und Aneignung durch Studierende, Referendare und Junglehrer*innen essentiell?
- Welches Handlungswissen wird benötigt, um das Modell in konkreten schulischen Settings und innerhalb dortiger intern curricularer Kontextfaktoren (z.B. Schulleitbild, Förderschwerpunktsetzungen, fachliche Schwerpunktsetzung) umzusetzen?
- Welche Formate könnten besonders zielführend sein, um UDL in der Lehrer*innenbildung zu vermitteln (Videoanalysen, Hospitationen, Micro-teachings, Explorieren vs. Instruieren des Instruments…)?
- Inwiefern könnte UDL als Framework (Advanced Organizer) für die Lehrer*innenbildung genutzt werden? Inwiefern könnten hier auch Brücken zwischen Sonder- und Regelpädagogik geschlagen werden?
- Inwiefern lässt sich UDL als Reflexionsschablone für Unterricht generell, beziehungsweise für den Englischunterricht einsetzen? Könnte UDL in bestehende Reflexionsmodelle integriert werden?
Über Reaktionen und Rückmeldungen sowie neue Diskussions- oder Reflexionsschwerpunkte freuen wir uns!
Dokumentation zur Lüneburger Tagung online
Es ist soweit: Der Tagungsband zur Lüneburger Tagung „Inklusiver Englischunterricht: Gemeinsam lehren und lernen“ ist endlich fertig – und vollständig online im open access-Format hier auf der Seite des Netzwerks Inklusiver Englischunterricht einsehbar.
Wir danken allen Beitragenden und dem gesamten Team für die Zusammenarbeit – und sind natürlich gespannt auf Feedback und Reaktionen! 🙂
Konferenzbericht: „Inklusiver Englischunterricht – Gemeinsam Lehren und Lernen“
von Gastautorin Jana-Luise Bimkiewicz (Leuphana Universität Lüneburg)
Am 20. und 21. September 2018 richteten das Zukunftszentrum Lehrerbildung (ZZL), die Qualitäts- und Unterstützungsagentur – Landesinstitut für Schule des Landes Nordrhein-Westfalen (QUA-LiS NRW), das Netzwerk Inklusiver Englischunterricht und die Leuphana Universität Lüneburg die Tagung und Lehrkräftefortbildung „Inklusiver Englischunterricht – Gemeinsam Lehren und Lernen“ (IEGLL) aus. Mit ca. 200 Teilnehmer_innen stellte sie die größte Konferenz des Jahres in der Fachdidaktik Englisch dar. Die Relevanz der Thematik im Bildungsdiskurs und der Unterrichtsrealität wird dadurch unterstrichen. Der Titel und das Konzept der Veranstaltung verdeutlichen die Verknüpfung unterschiedlicher Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis. Die Konferenz gab nicht nur einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand in Form von Vorträgen, sondern bot im Rahmen von Workshops auch Unterrichtsbeispiele verschiedener Schulformen und Anregungen für eine direkte Umsetzung in der schulischen Praxis. Thematisch deckte die Tagung das Spektrum rund um die Chancen und Herausforderungen des gemeinsamen Unterrichtens von Schüler_innen mit all ihren individuellen Bedürfnissen im Englischunterricht ab.
Verbunden mit dem gesellschaftlichen Wandel Ende des 20. Jahrhunderts hat sich der Begriff “Inklusion” global durchgesetzt. Er manifestiert den Rechtsanspruch aller Menschen auf eine gleichberechtigte Existenz und Teilhabe in bzw. an allen gesellschaftlichen Bezügen. Mit dem Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, die 2009 in Deutschland in Kraft getreten ist, wird Menschen mit besonderen Bedürfnissen ein gleichberechtigter Zugang zu Bildung gewährleistet (BGBl. 2008 II Nr. 35: 1436ff). Damit einhergehend hat ein inklusives Bildungssystem den Auftrag, von Anfang an Vielfalt und Heterogenität wertzuschätzen, zu fördern und auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden abzustimmen. Dieses enge Inklusionsverständnis hat seitdem über die Bildungspolitik systematisch in den Schulgesetzen sowie Curricula und Lehrplänen Einzug gehalten. Nichtsdestotrotz ist Inklusion deutlich mehr, sodass der weite Inklusionsbegriff der Konferenz wie auch diesem Bericht zugrunde liegt. Es werden alle Heterogenitätsdimensionen (Alter, Geschlecht, Sprache, Herkunft, Kultur, Religion, Sozio-ökonomischer Status etc.) berücksichtigt, die die Grundlage einer pluralen Gesellschaft bzw. Schulklasse bilden. Dies bedeutet für den Englischunterricht, vor dem Hintergrund als Kernfach im Schulsystem und der zunehmenden Relevanz der englischen Sprache als notwendige Voraussetzung zur Partizipation in einer globalen Welt, dass Schüler_innen mit der gesamten Bandbreite an individuellen Bedürfnissen und Lernvoraussetzungen gemeinsam in einer Klasse lernen und darauf vorbereitet werden. Allen Schüler_innen wird also die Teilhabe am Englischunterricht ermöglicht. Die Anerkennung der Vielfalt der Kinder und Jugendlichen sowie dessen Relevanz für den Englischunterricht, führt folglich zur Frage der konkreten Umsetzung in der schulischen Praxis. Noch 2010 diagnostizierte MATTHIAS TRAUTMANN (2010: 10) eine „hohe Diskrepanz zwischen den Empfehlungen der Fremdsprachendidaktik und der Praxis des Englischunterrichtens“ in inklusiven Settings. Doch wo stehen wir heute?
- Wie kann inklusiver Englischunterricht gelingen?
- Was ist guter inklusiver Englischunterricht?
- Welcher Formen von Differenzierung bedarf es?
- Welche Kompetenzen benötigen Lehrkräfte?
- Und was bedeutet das für die Lehrkräftebildung?
Ziel der Konferenz war es, auf u.a. diese komplexen Fragen unter Berücksichtigung des aktuellen Diskurses erste Antworten zu liefern. Darüber hinaus sollte die Tagung eine Brücke schlagen, eine Vernetzung sowie Inspiration zwischen Wissenschaft, Lehrkräfteausbildung und schulischer Praxis ermöglichen, um die Umsetzung eines inklusiven Englischunterrichts aus interdisziplinärer und fachdidaktischer Perspektive zu konkretisieren. Nachfolgend bietet dieser Bericht einen Eindruck über die wichtigsten und interessantesten Ergebnisse und Beiträge der Konferenz.
Eröffnet wurde die Konferenz von Prof. Dr. JUDIT KORMOS (University of Lancaster) mit ihrem Vortrag zu Sprachlernprozessen von Schüler_innen mit bestimmten Lernschwierigkeiten. Anhand von sechs Schlüsselelementen diskutierte KORMOS, wie Lehrkräfte Schüler_innen mit individuellen Lernschwierigkeiten unterstützen können, Sprachen erfolgreich zu lernen. Diesbezüglich hob sie hervor, wie eben diese Schwierigkeiten im Klassenraum erkannt sowie deren Ursachen und Effekte verstanden werden können. Darüber hinaus stellte sie verschiedene Strategien und Techniken vor wie z.B. „accomodation, differentiation, self-awareness training, multisensory and multimodal learning“, um diese Schüler_innen individuell in ihrem Lernen zu begleiten. Nach KORMOS kann Inklusion gelingen, wenn eben diese Schlüsselelemente in den Unterricht integriert werden und Hilfestellung im gesamten Lernprozess gewährleistet wird. Sie stellt weiterhin fest “the more I research, the more I recognize that techniques originally recommended for dyslexia are profitable for everyone”. Demnach geschieht der vermeintliche „Mehraufwand“ für eine_n einzelne_n Schüler_in zu Gunsten der gesamten Klasse , denn alle können davon profitieren. KORMOS legte bei ihrem Vortrag den Fokus vorwiegend auf die Schwierigkeiten, da es ihrer Meinung nach wichtig sei, diese zu verstehen, um den Schüler_innen helfen zu können. Dennoch weist sie darauf hin, auch die Stärken der Schüler_innen wie Kreativität, Originalität, räumliches Denken, Problemlösefähigkeiten etc. nicht zu unterschätzen und wahrzunehmen.
Ein Vortrag, der genau an diese Stärken anknüpft und von vielen Teilnehmer_innen auf den ersten Blick als „the odd one out“ wahrgenommen wurde, war der von Dr. HEIKE NIESEN und Dr. JUDITH BÜNDGENS-KOSTEN (Goethe Universität Frankfurt) zur Berücksichtigung von Neurodiversität im Lehramtsstudium. Der Begriff ‚Neurodiversität‘ geht zurück auf die Autistic Pride Bewegung und definiert neurologische Unterschiede als natürliche Vielfalt des Menschens, die beispielsweise in Sinne der kulturellen und Biodiversität bereits in der Gesellschaft (meist) anerkannt ist. NIESEN und BÜNDGENS-KOSTEN fordern einen Paradigmenwechsel im Sinne von „diversity instead of disability“ und über den Tellerrand hinauszusehen, sodass von einem Kategoriendenken abgesehen und Diversität zelebriert wird sowie die Stärken der Schüler_innen im Vordergrund stehen. Im Rahmen eines Seminars an der Goethe Universität Frankfurt haben sie die Neurodiversitätsperspektive erprobt und mit den Studierenden reflektiert. Die Besonderheit ihres Konzepts zeichnet sich vor allem durch die Begegnung mit neurodivergenten Personen, wodurch ein Perspektivwechsel angeregt und nachvollziehbar(er) gestaltet werden konnte, um sowohl “Heroisierung” als auch “Defizitdenken” entgegenzuwirken.
Neben dem Stichwort ‘Inklusion’, ist derzeit ein weiterer Begriff essentiell für den aktuellen Bildungsdiskurs: Digitalisierung. Diese beiden Konzepte zu vereinen, versuchten einige der vorgestellten Projekte mit unterschiedlichen Medien sowie unter Berücksichtigung verschiedener Diversitätsmerkmale – und das mit Erfolg wie Unterrichtsbeispiele und -projekte zeigen. So ermöglicht das interkulturelle und globale Going Green Projekt von JOANNIS KALIAMPOS (Leuphana Universität Lüneburg) Inklusion sozial-ökonomisch zu realisieren, denn es verfolgt „das Vorhaben, Schüler_innen und Lehrkräften die Möglichkeit zu geben, digital an lernerorientierten Diskursen zu partizipieren“. Was diesen mit dem Vortrag Go digital eint, hoben VERA WINDMÜLLER-JESSE und MARCO TALARICO (QUA-LiS NRW, FL, ZfsL Bielefeld) hervor, nämlich dass „Digitalisierung Teilhabe ermöglicht“. Sie sehen vor allem die Partizipationsmöglichkeiten und Potenziale darin, dass die Lernenden im Unterricht die Verantwortung für das Lernen im Rahmen von guten Lernaufgaben selbst übernehmen. Damit einhergehen muss unabdingbar eine Forderung und Förderung von Medien- und Methodenkompetenz der Lehrkraft sowie der Schüler_innen. Eine gute Lernaufgabe steht in diesem Zusammenhang für eine Aufgabe, die Lernräume öffnet, individuelle Lernprozesse aktiviert und sichtbar macht, sodass die Lernenden zum ‚Prosumer‘ (Producer/Consumer) werden. Trotz möglicherweise fehlender Ressourcen wie Zeit und finanzielle Mittel oder der fehlenden Erfahrung, sehen WINDMÜLLER-JESSE und TALARICO vor allem Chancen und Möglichkeiten in der Nutzung von digitalen Medien und task-based language learning (TBLL). Vorteil ist beispielsweise, dass bei einem gemeinsamen Kleingruppenprojekt wie der Erstellung von Explainity-Clips die „individuelle Unterstützung seitens der Lehrkraft viel weniger eingefordert wurde“ wie TALARICO berichtet, da die Schüler_innen als Expert_innen einander helfen und die Medien selbst bereits als Unterstützung und Scaffolding dienen.
Der zweite Plenarvortrag von Prof. Dr. ROLF WERNING (Leibniz Universität Hannover) beleuchtete die aktuellen Grundlagen sowie Herausforderungen und Perspektiven des inklusiven Unterrichts in Deutschland – ein Vortrag, auf den sich viele Teilnehmer_innen im Vorhinein freuten. Er stellte zunächst die Fragen in den Raum „Trauen wir der Idee von Heterogenität? Und ist das überhaupt gut und lernförderlich?“ – insbesondere vor dem Hintergrund unseres derzeitigen Schulsystems. Unser, durch historische Entwicklungen eher selektiv ausgerichtetes Schulsystem, bot bislang keine bis wenig Erfahrungsmöglichkeiten im Hinblick auf Heterogenität – biografisch auch vielen der derzeit tätigen Lehrkräfte nicht -. WERNING stellte Inklusion als ein Konzept der institutionellen Entwicklung einer “Schule für alle” dar und fordert eine „Minimierung von Diskriminierung“ als auch „Maximierung von sozialer Teilhabe“. In diesem Sinne umfasst Inklusion eine Veränderung der Schulkultur, wobei nach WERNING „Inklusion kein Additum bleiben darf“. Vielmehr sollten die Themen Heterogenität und Individualität im Fokus der Schulentwicklung stehen.
Am Beispiel der Preisträgerschulen des Jakob-Muth-Preises stellte WERNING Kriterien auf Basis seiner Forschungen vor, die gute inklusive Schulen kennzeichnen z.B: Kooperationszeit, Teamteaching, kontinuierliche Reflexion, individueller Leistungsgedanke oder gelebte Salutogenese. Zusammenfassend sagt er, „gute Inklusion ist fachlich und fachdidaktisch gute Inklusion. (…) und guter Unterricht ist guter inklusiver Unterricht“. Er distanzierte sich von einer Defizitdidaktik, welche von reduzierten Erwartungen geprägt ist und damit zu einer Reproduktion von Defiziten führt. Stattdessen beinhaltet der gute inklusive Unterricht Unterstützungsangebote, sodass jede_r Schüler_in am Unterricht teilnehmen und am gleichen Lerngegenstand arbeiten kann. WERNING fordert dementsprechend hohe positive Erwartungen an jede_n Schüler_in zu stellen,, unabhängig davon, ob eine “geistige Behinderung” oder einer “Hochbegabung” diagnostiziert wurde. Als guten Ansatz zur Forderung bzw. Förderung verweist er zum Schluss auf das “Universal Design for Learning (UDL)”, welches seinen Ursprung in der barrierefreien Architektur hat und interdisziplinär Aspekte der Sonderpädagogik, allgemeinen Pädagogik und Fachdidaktik vereint, um allen eine maximale Zugänglichkeit zu gewähren.
Wie das UDL bei der Unterrichtsplanung und -reflexion genutzt werden kann, konnte von den Teilnehmer_innen in einem entsprechenden Workshop praktisch vertieft werden. Dort stellten KATHARINA KRAUSE und Prof. Dr. HENNING ROSSA (Technische Universität Dortmund, Universität Trier) eben dieses Konzept detailliert vor. Es unterstützt Lehrkräfte, von Beginn an so viele Heterogenitätsdimensionen wie möglich im Unterricht zu berücksichtigen. Trotz des sehr vielversprechenden und vielseitig anwendbaren Prinzips war es den Anwesenden überwiegend unbekannt. Mithilfe der Guidelines bzw. Checkliste konnten die Teilnehmer_innen Arbeitsblätter, Einsatz von Medien (z.B. Anybook Reader), Unterrichtsverläufe und Videoausschnitte auf die UDL-Prinzipien hin überprüfen, um Lernbarrieren zu identifizieren und Möglichkeiten der Verbesserung zu diskutieren.
Von der defizitorientierten hin zu einer diversitätsorientierten Bildung bildet die Grundlage für inklusiven Unterricht und ist damit zumeist eine Frage der Sonderpädagogik – die Perspektive, die von WERNING vertieft aufgezeigt wurde – da sie sich vielfach im Rahmen von sonderpädagogischem Förderbedarf von Schüler_innen stellt. Darüber hinaus betrifft dieses Konzept aber alle Formen von Heterogenität z.B. auch Schüler_innnen mit besonderen Begabungen, mit anderer Geschlechter-Identität oder Migrationshintergrund und anderen Erstsprachen als Deutsch oder Englisch.
Diesbezüglich werfen die migrationspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre Fragen auf, wie mit der migrationsbedingten, sprachlichen und kulturellen Vielfalt der Menschen umgegangen werden soll – insbesondere, wenn eben eine gemeinsame Sprache als Ausgangslage für eine Kommunikation im Englischunterricht zunächst meist fehlt. Möglichkeiten der Umsetzung und Herangehensweisen für die Unterrichtspraxis veranschaulichte Dr. HANNAH RUHM (Leibniz Universität Hannover) bei einem Shortcut und hob insbesondere die Wichtigkeit der Verknüpfungsmöglichkeiten (DaZ; Englisch als „Brückensprache; Sprachlernstrategien) sowie den Einbezug der Herkunftssprachen hervor. Dies stellte RUHM am Beispiel des Projekts Welcome to our school dar, in welchem unterschiedliche Niveaugruppen das Thema unter verschiedenen Schwerpunkten (Wortschatzarbeit, Sprachmittlung, Schreiben) erschließen. Dabei setzt RUHM die Sensibilisierung der Lehrkräfte für den Nachteilsausgleichs, den Unterstützungsbedarf und individualisiertes Lernen voraus, welches u.a. durch die Nutzung von Apps oder herkunftssprachlicher Wörterbücher sowie mehrsprachiger Arbeitsmaterialien realisiert werden kann. Zudem wurden den Teilnehmer_innen Tipps an die Hand gegeben, wie sie den Schüler_innen den Übergang von der Sprachlernklasse in den curriculumsbezogenen Englischunterricht der Klasse gut gestalten können. Nach RUHM sollte die „sprachliche Diversität als Gewinn für den Englischunterricht“ anerkannt und wertgeschätzt werden.
Eine ähnliche Perspektive vertrat CAROLIN ZEHNE (Universität Bielefeld) mit ihrem Vortrag zur Verbindung von inklusivem Englischunterricht und Englisch als Lingua Franca. Sie argumentierte im Kern, nicht das Material oder die Aufgabenstellung zu differenzieren, sondern den Ansatz zu verfolgen, dass durch Abrücken vom native-speaker Modell Raum geschaffen wird, den Inklusionsgedanken hinsichtlich individueller Lernziele zu entfalten.
Ein ganz praktischer, im Rahmen eines Theaterprojekts mit geflüchteten Kindern und einer 6. Klasse erprobten Zugangs wurde von NATASHA JANZEN ULBRICHT (Freie Universität Berlin) gezeigt und mit den Teilnehmer_innen im Workshop aktiv durchgeführt. Sie sagt, „movements and language are closely linked“ und erklärt, dass bewusst gestaltete und zuvor eingeführte, sich wiederholende Gesten einen höheren Lerneffekt haben als undefinierte Bewegungen sowie dass “codified gestures can help proceduralize preposition learning, resulting in an increased ability to generalize to new situations”. Dargestellt am Unterrichtsimpuls einer traditionellen polnischen Geschichte lernten die Teilnehmer_innen, einzelnen Sätze wie z.B. „The dragon eats all our sheep and all out cattle“ mit Gesten zu unterfüttern. Da selbst ein paar Stunden später, mindestens eine Teilnehmerin den Satz samt Gesten repetieren konnte, wird es deutlich, dass JANZEN ULBRICHTs Aussage Berechtigung hat.
Eine Heterogenitätsdimension, die im Rahmen der Inklusionsdebatte selten im Vordergrund steht, aber dennoch bedeutsam ist, insbesondere wenn man sich aktuelle gesellschaftspolitische Diskurse ansieht, ist die queere Inklusion. Mit dieser Perspektive beschäftigt sich Dr. THORSTEN MERSE (Ludwig-Maximilian-Universität München) und beleuchtete in seinem Vortrag die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, wobei er voraussetzt, dass Inklusion bereits als Teil des Englischunterrichts und im Schulsystem anerkannt ist. Fundiert auf der anti-oppressive pedagogy und dem Klassenraum als safe space, fordert er dazu auf, die Denkanstöße aus der Queer Theory zu nutzen, um auf die Normkritik der Binarität hinzuweisen sowie LGBTIQ* sichtbar zu machen und im Englischunterricht anzuerkennen, wie es beispielsweise im Kerncurriculum Niedersachsen oder auch in der Literatur bereits legitimiert wird. Insbesondere die nachfolgende Diskussion mit den Teilnehmer_innen verdeutlichte die Neugier wie auch Relevanz und Aktualität der Thematik, ganz gleich ob bei einer der ersten Units im Grundschulenglischunterricht zu family tree oder wenn es die Akzeptanz von LGBTIQ* Schüler_innen im Klassenverband thematisiert und diese in den Fokus des inklusiven Englischunterrichts gesetzt werden können – je nach individuellem Wunsch. Zur Realisierung schlug MERSE u.a. gemeinsame kritische Betrachtungen von Heteronormativität in Textbüchern, der People of NY-Website oder der Arbeit mit Literatur und Bilderbüchern And tango makes three vor. Wie letzteres dann im Unterricht aussehen kann, wurde im Plenum diskutiert. Zudem konnten sich die Teilnehmer_innen wiederum beim interaktiven Workshop ‚Picturebooks for everyone‘ von ANETTE IGEL (IATEFL IP&SEN SIG) überzeugen lassen, wie man Bilderbücher einsetzen kann – wenn auch thematisch etwas abseits dieser Dimension, aber zumindest die Tiere als Hauptcharaktere blieben bestehen.
Trotz all der inspirierenden wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den Vorträgen wie auch praktischen Unterrichtsimpulsen stellte sich die Frage, wie diese in der gegenwärtigen Lehrkräfteausbildung verankert werden können. Drei unterschiedliche Konzepte wurde diesbezüglich auf der Konferenz vorgestellt. Dabei legten Prof. Dr. KARIN VOGT (Pädagogische Hochschule Heidelberg) wie auch CAROLYN BLUME, Prof. Dr. TORBEN SCHMIDT (Leuphana Universität Lüneburg) und Dr. BIANCA ROTERS (QUA-LiS NRW) ihren Fokus auf eine Vorbereitung der Studierenden in einer frühen Professionalisierungsphase. VOGT sieht „einen hohen Bedarf in der Entwicklung und Erarbeitung von Handlungskompetenz in inklusiven Settings“, welcher an der pädagogischen Hochschule Heidelberg durch praxisorientierte und phasenübergreifende Kooperationen mit Schulen über einen Zeitraum von zwei Jahren umgesetzt wird. Sie möchte mit ihrem Projekt zeigen, „wie man auf einer lokalen Ebene, die lokale Inklusionsagenda im kleinen Rahmen mit wenigen Ressourcen und sinnvollen Konzepten durchführen kann“ durch beispielsweise die Einführung von Kooperationen, die Entwicklung von reflexivem Handlungswissen oder die Arbeit in multiprofessionellen Teams. Dabei unterstreicht sie, dass es notwendig ist, „in den bestehenden Strukturen Dinge zu verändern und nicht auf die großen äußeren Veränderungen im System zu warten.“
Im Rahmen ihrer Begleitforschung zu dem interdisziplinär ausgerichteten Bachelorseminar Teaching in heterogenous and inclusive contexts an der Leuphana Universität mithilfe multiperspektivischer Klassenraum-Videographie legten BLUME, ROTERS und SCHMIDT ihren Fokus auf die Haltungen und Reflexionskompetenzen angehender Lehrkräfte im Inklusivem Englischunterricht. In dem Seminar wurde versucht, die Studierenden auf englischspezifische und inklusive Themen vorzubereiten. Sie zeigten empirisch auf, dass sich bereits innerhalb eines Semesters die unterschiedlichen Aspekte des Seminars die Haltungen zum inklusiven Englischunterricht verändern kann. In Zusammenhang mit diesem Projekt steht ein zweites am ZZL-Netzwerk Lehrerbildung, welches von ROBIN STRAUB, STEFAN SPÖHRER und LEA MEIMERSTORF präsentiert wurde. Wenn auch immer noch in der Universität verankert, konzipierte und begleitete das Entwicklungsteam TIES – Teaching in Inclusive Setting das Seminar von SCHMIDT et al. in einem kooperativen Ansatz. Dabei verfolgt dieses Projekt das Ziel, „ein Heterogenitätsseminar zu kreieren, welches in die Lehrkräfteausbildung integriert werden kann“. Die Entwicklungsteams sehen sich als „Third Space“ als Plattform für einen multiprofessionellen Austausch zwischen den verschiedenen Akteur_innen aus dem Bildungssystem über die verschiedenen Phasen und Expertisen hinweg, um sowohl voneinander zu lernen als auch Theorie und Praxis zu verzahnen und gemeinsam auszudiskutieren. Dies impliziert folglich alle von Studierenden oder Referendar_innen über Lehrkräfte, Sonderpädagog_innen und Studienseminarleiter_innen bis zu Fachdidaktiker_innen. So betont Straub, dass Inklusion und inklusiver Englischunterricht gelingen kann, wenn sie „als kooperative Aufgabe und gemeinsame Herausforderung gesehen wird, die die Einbindung verschiedener Expertisen bedarf und einschließt“ sowie wenn einander wertschätzend und offen begegnet wird.
Abschließend lässt sich festhalten, dass in diesem Bericht lediglich ein kleiner Ausschnitt aller Vorträge der Konferenz vorgestellt werden kann und viele Themen, die im Rahmen der Konferenz bearbeitet wurden wie z.B. einzelne Kompetenzen, das Schreiben im inklusiven Englischunterricht, der kommunikative Sprachenunterricht, inspirierende Unterrichtsideen oder einzelne Schwerpunkte wie Sehen oder LRS nicht berücksichtigt werden können. Eben dies spiegelt aber auch die thematische Vielfalt der Konferenz wieder, wodurch die Teilnehmer_innen das ein oder andere Mal die Qual der Wahl hatten, bei der Entscheidung wider oder für einen Vortrag. Darüber hinaus wurde die Tagung charakterisiert durch ihre einzigartige Verzahnung von Theorie und Praxis, die es einem nicht nur erlaubte, über den eigenen Tellerrand zu schauen, sondern überdies auch in den direkten Austausch zu treten mit Menschen anderer Expertise und Perspektiven: „Die Mischung und Abwechslung machts! Von Networking über Unterrichtspraxis bis zu Forschung und Verlage“ trifft es eine Teilnehmerin auf den Punkt.
Doch wo stehen wir heute und wofür steht denn nun „guter inklusiver Englischunterricht“? Es mangelt derzeit sowohl an fachdidaktischer Expertise als auch an Wahlmöglichkeiten, an Materialien, an Ressourcen (z.B. Endgeräte, Personal) und einer Ausbildung, die das Wissen über entsprechende Themenkomplexe und Differenzierungsmöglichkeiten erweitert. Auch gelernte und biografische Denkstrukturen und Haltungen der Lehrkräfte müssen verändert werden, um Inklusion realisieren zu können, ist die allgemeine Forderung. Nichtsdestotrotz bewegen wir uns. “Inclusion is a process of a never-ending story” nach KORMOS und es gibt selbstverständlich kein Patentrezept. Doch worin sich viele auf der Konferenz einig waren, ist, dass „guter inklusiver Englischunterricht“ im Grunde nichts anderes als guter Englischunterricht ist, nämlich ein Unterricht, der kompetenzorientiert sowie differenziert an den Lernenden orientiert ist und die gesamte Bandbreite unterschiedlicher Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse ernst nimmt. Das bedeutet nicht, dass die Lehrkraft 28 unterschiedliche Arbeitsblätter erstellen soll, sondern Lerngelegenheiten und individuelle Unterstützungsangebote geschaffen werden müssen, um an einem gemeinsamen Lerngegenstand zu arbeiten, welcher individuelle Stärken fördert und zu einem individuellen Lernerfolg führt. In diesem Sinne ist ein Englischunterricht zu kreieren, „der allen Kindern – unabhängig von ihren individuellen Bedürfnissen – die Tür öffnet, über die englische Sprache unsere globalisierte Welt zu erleben“ (Studentin, Leuphana Universität Lüneburg). Wie das funktionieren kann, wurde auf vielfältige Art und Weise theoretisch und praktisch in den Vorträgen, Shortcuts und Workshops präsentiert. Es zeigt, wir sind auf Weg! Wenn wir der Idee des inklusiven Englischunterrichts realistisch begegnen möchten, brauchen wir eigentlich nur noch ein wenig mehr Offenheit, Flexibilität, Selbstreflexion und Mut – Mut sich auszuprobieren, Mut Fehler zu machen, Mut Perspektiven zu wechseln, Mut neue Wege zu gehen.
Literaturverzeichnis
Bundesgesetzblatt (2008). Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. In: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2008 Teil II Nr. 35, ausgegeben zu Bonn am 31. Dezember 2008. Online verfügbar unter <https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/media/B5C74C3100AB585BC09AA4555AF66096/bgbl208s1419_57967.pdf>, zuletzt geprüft am 20.11.2018.
Trautmann, M. (2010). Heterogenität – (k)ein Thema der Fremdsprachendidaktik. Online verfügbar unter <http://www.bag-englisch.de/wp-content/uploads/2010/01/Heterogenit%C3%A4t-Trautmann.pdf>, zuletzt geprüft am 18.11.2018.
Die Gastautorin
Jana-Luise Bimkiewicz ist Masterstudentin im Lehramt für die Fächer Englisch, Mathematik und Musik an der Leuphana Universität Lüneburg und studentische Hilfskraft in den dortigen Arbeitsbereichen Englischdidaktik und englische Sprachwissenschaft.
Inklusiver Englischunterricht bedeutet für mich … (Michaela Quast)
In der Reihe „Inklusion im Fremdsprachenunterricht bedeutet für mich …“ stellen die Mitglieder des Netzwerks Inklusiver Englischunterricht ihre ganz persönliche Sicht auf Praxis und Forschung zum inklusiven Englischunterricht vor.
Heute: Michaela Quast, Doktorandin am Englischen Seminar I an der Universität zu Köln.
Inklusiver Fremdsprachenunterricht bedeutet für mich…
… die Pluralität und Diversität unserer Gesellschaft als Selbstverständlichkeit in unseren Schulen zu leben und dabei sowohl hochbegabte SchülerInnen, solche mit Durchschnittslernbiografien als auch SchülerInnen mit besonderen Unterstützungsbedarfen gleichermaßen individuell zu fordern und zu fördern.
Ganz konkret kann inklusiver Englischunterricht gelingen, wenn LehrerInnen gewisse Grundkenntnisse bezüglich individueller Förderschwerpunkte, konkreter Maßnahmen und damit verbundenen rechtlichen Vorgaben haben sowie offen und entsprechend ausgebildet für moderne Unterrichtsformen sind; sie sich also lösen können von klassischen Frontalunterrichtsszenarien, bei denen alle SchülerInnen in der gleichen Zeit mit den selben Materialien das selbe Ziel verfolgen sollen. Dazu gehören die Kenntnis von offenen und kooperativen Lernformen auf Makro- und Mikroebene und sowie die Planungs-, Durchführungs- und Bewertungskompetenz in diesen Bereichen. Gleiches gilt für den Einsatz sogenannter task-based learning-Szenarien, bei denen in möglichst realitätsnahen Lernszenarien SchülerInnen in Gruppen ihre unterschiedlichen Fähigkeiten einbringen und erweitern können. Oder dies gilt für unterschiedlichste Visualisierungsformen, die sowohl den Unterricht stärker strukturieren und somit Transparenz und Orientierung bieten als auch SchülerInnen helfen, ihre eigenen Lernfortschritte individuell darzustellen. Binnendifferenzierende Maßnahmen sollten nicht nur aus klassischen Fundamentum- und Additum-Aufgaben bestehen, sondern bedürfen manchmal auch der Aufarbeitung von Texten im sogenannten Easy-to-read (oder auch Leichte Sprache) Bei all diesen Maßnahmen gilt es nicht nur, die für den Englischunterricht benötigten fachlichen Kompetenzen im Blick zu haben, sondern auch die Förderung von Entwicklungsbereichen wie es etwa der Ansatz der Inklusionsdidaktischen Netze vorschlägt.
Zu einem modernen, inklusiven Englischunterricht zählt außerdem der gezielte Einsatz neuer Medien im Unterricht, die eine Individualisierung des Sprachenlernens vereinfachen können. Während z.B. SchülerInnen mit Migrationshintergrund sich immer wieder digitalisierte Schulbücher vorsprechen lassen können, können SchülerInnen mit Unterstützungsbedarfen digitalisierte Hilfekärtchen anklicken und diese zur Weiterarbeit nutzen.
Wichtig ist dabei, dass Instrumente wie etwa die Wochenplanarbeit oder reading logs im Literaturunterricht nicht als bloße ‚Beschäftigungsmaßnahmen‘ missbraucht werden, sondern tatsächlich für die individuellen Lernstände der SchülerInnen aufbereitet und diese dann auch in ihrer Arbeit begleitet werden.
Inklusiver Englischunterricht bedeutet auch für Lehrkräfte Kooperation – und das nicht nur mit EnglischkollegInnen (etwa bei der Unterrichtsplanung, der Materialerstellung oder im Team Teaching), sondern auch mit SonderpädagogInnen, SozialarbeiterInnen und vielen anderen, z.T. auch außerschulischen PartnerInnen. Wichtig ist hierbei, diese als gleichberechtigte KollegInnen zu begreifen und keinesfalls als bloße ‚Helferlein am Rande‘, die lediglich der Regelschullehrkraft zur Hand gehen.
Dies alles kann meiner Meinung nach nur gelingen, wenn EnglischlehrerInnen dahingehend von Schulleitungen, Bezirksregierungen und Schulpolitik unterstützt werden, dass ihnen die entsprechenden zeitlichen, räumlichen und materiellen Ressourcen, Fortbildungsprogramme sowie Maßnahmen zum Erhalt ihrer Lehrergesundheit zur Verfügung stehen. Denn nur so kann eine positive Einstellung gegenüber inklusivem (Englisch-)Unterricht langfristig ent- und bestehen, was gleichzeitig eine maßgebliche Voraussetzung für dessen Gelingen ist.
Verwendete Literatur
Bonnet, Andreas. 2009. “Kooperatives Lernen.“ Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 99. 2-15.
Ellis, Rod. 2003. Task-based Language Learning and Teaching. Oxford: Oxford University Press.
Brüning, Ludger; Saum, Tobias. 2009. Erfolgreich unterrichten durch Visualisieren. Essen: Neue-Dt.-Schule-Verl.-Ges.
Inclusion Europe. 2014. Information for all. Pathways. GD Bildung und Kultur. Brüssel. 07.03.2017 http://easy-to-read.eu/wp-content/uploads/2014/12/DE_Information_for_all.pdf.
Netzwerk Leichte Sprache e.V.. 2015. Das ist Leichte Sprache. 07.03.2017. < http://www.leichtesprache.org/index.php/startseite/leichte-sprache/das-ist-leichte-sprache>.
Heimlich, Ulrich; Kahlert, Joachim. 2012. Inklusion in Schule und Unterricht. Stuttgart: Kohlhammer.
Karolina; Wilbert, Jürgen; Hennemann, Thomas. 2014. “Attitudes towards inclusion and self-efficacy of principals and teachers.” In: Learning Disabilities: A Contemporary Journal. 12 (2). 151-168.
Inklusiver Englischunterricht bedeutet für mich … (Roman Bartosch & Ulla Schäfer)
In der Reihe „Inklusion im Fremdsprachenunterricht bedeutet für mich …“ stellen die Mitglieder des Netzwerks Inklusiver Englischunterricht ihre ganz persönliche Sicht auf Praxis und Forschung zum inklusiven Englischunterricht vor.
Heute: Prof. Dr. Roman Bartosch, Juniorprofessor für Didaktik der Literaturen und Kulturen der Anglophonen Welt am Englischen Seminar II der Universität zu Köln, und Ulla Schäfer, Lehrbeauftragte am Englischen Seminar II der Universität zu Köln, ehemalige Fachleiterin für das Fach Englisch an der Grund- und Hauptschule.
Inklusiver Fremdsprachenunterricht bedeutet für uns …
… eine hochkomplexe didaktische Entwicklungsaufgabe, die einer gesellschaftlichen Vision und dem rechtebasiertem Versprechen auf Teilhabe mit fachdidaktischer Theorie, empirischer Forschung und diversitätssensibler Unterrichtpraxis zu begegnen hat. Auf der einen Seite bedeutet dies für die Bildungsinstitution Schule einen erhöhten Veränderungsbedarf in den Bereichen der Diagnostik und Bewertung, der Unterrichtsplanung und der Berücksichtigung von Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern. Auf der anderen Seite jedoch verlangt Inklusion in der schulischen Praxis zuvorderst die konsequente Umsetzung von zum Teil seit Jahren geforderten aber auch erprobten Methoden und Ansätzen – von der Orientierung an individuellen Bedarfen über die Planung kommunikativer und lebensweltlich bedeutsamer komplexer Lernaufgaben bis hin zur Förderung durch formative Evaluation.
Eine Aufgabe der Forschung ist daher, die Potentiale solcher Zugänge zu benennen und systematisch herauszustellen und im Zuge der Professionalisierung von Lehrkräften fortlaufend zu evaluieren. Eine weitere Aufgabe liegt darin, die ebenfalls geforderten und letztlich einklagbaren Rechte zur teilhabeorientierten Transformation der Gesellschaft schulpolitisch zu konturieren und lautstark sowie empirisch abgesichert notwendige systemische Veränderungen – von der Architektur bis zur allgemeinen finanziellen Ausstattungen und den Unterstützungsangeboten von und für Schulen – einzufordern. In unserer Forschung wollen wir diese Arbeitsfelder exemplarisch untersuchen und so gleichermaßen wissenschaftlich fundierte wie schulpraktisch orientierte Vorschläge machen und bereiten dazu verschiedene Einzelprojekte vor, die in den nächsten Jahren zusammen mit Studierenden und Praktikerinnen und Praktikern bearbeitet werden.
Neuerscheinung: „Inklusiver Englischunterricht“
Der Sammelband ‚Inklusiver Englischunterricht‘ behandelt zentrale Fragen der Unterrichts- und Schulentwicklung und nimmt hier die besonderen Anforderungen heterogener Lerngruppen im Englischunterricht in den Blick. Die Beiträge bündeln die aktuellen Diskussionen aus der Englischdidaktik und erweitern sie durch die Einbindung US-amerikanischer sowie sonder- und inklusionspädagogischer Perspektiven.
‚Inklusiver Englischunterricht‘ vereint damit neben der Vorstellung eines Unterrichtsplanungsmodells zahlreiche Facetten der Konzeptualisierung und Unterrichtsentwicklung im inklusiven Englischunterricht. Die Beiträge zeichnen sich durch ihren breiten innovativen wie auch interdisziplinären Zuschnitt aus. Es werden Entwicklungspotentiale in der Unterrichtsentwicklung im Fach Englisch aufgezeigt und Unklarheiten sowie offene Fragen diskutiert, um so Impulse für eine theoriebasierte und praxisorientierte Unterrichtsentwicklung bereitzustellen.
Insgesamt bietet die Publikation eine kritisch-konstruktive Analyse der theoretischen und unterrichtspraktischen Zugänge eines inklusiven Englischunterrichts, der das Ziel verfolgt, allen Schülerinnen und Schülern mit ihren individuellen Lernvoraussetzungen gerecht zu werden. Der damit verbundene Bildungsanspruch des Fremdsprachenunterrichts kann so auf verschiedenen Ebenen für heterogene Lerngruppen umgesetzt werden.
Programm für Tagung „Inklusiver Englischunterricht – Gemeinsam Lehren und Lernen (IEGLL)“ online
Die Übersicht zur IEGLL-Tagung, die wir gemeinsam mit dem QUA-LiS NRW und der Leuphana Universität Lüneburg am 20. und 21. September veranstalten, ist online. Eine ausführliche Übersicht auch der wissenschaftlichen Vorträge folgt in Kürze und wird ebenfalls auch hier veröffentlicht.
Auch die Anmeldung zur Tagung ist ab sofort möglich.
Die Teilnahme ist kostenfrei.
Out now: Fachdidaktik inklusiv II
„Interdisziplinäre AutorInnenteams aus Forschung und schulischer Praxis präsentieren in diesem Anfang 2018 erschienenen Band Beiträge zu allgemeinpädagogischen Themen wie Classroom Management, Möglichkeiten des Team- und Co-Teachings, Unterrichtsplanung und der Berücksichtigung von Lernausgangslagen und -fortschritten sowie fachspezifische Ansätze und Überlegungen für einen inklusiven Fachunterricht. Der Band versteht sich als Fortführung des Bandes 3 „Fachdidaktik inklusiv“ der Reihe „LehrerInnenbildung gestalten“ und bietet weitere Überlegungen zu fachübergreifenden und fachspezifischen Ansätzen“.
Ulla Schäfer und Jan Springob, Mitglieder des Netzwerks, haben einen Artikel zur Realisierung von Englischunterricht in heterogenen Lerngruppen verfasst. Jan Springob ist darüber hinaus Mitherausgeber des Bandes.
Inklusiver Fremdsprachenunterricht bedeutet für mich …
In der Reihe „Inklusion im Fremdsprachenunterricht bedeutet für mich …“ stellen die Mitglieder des Netzwerks Inklusiver Englischunterricht ihre ganz persönliche Sicht auf Praxis und Forschung zum inklusiven Englischunterricht vor.
Heute: Sophie Engelen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Inklusiver Fremdsprachenunterricht bedeutet für mich…
… sich immer wieder auf theoretisch-konzeptioneller Ebene mit dem Begriff des „inklusiven Fremdsprachenunterrichts“ auseinanderzusetzen. Auch wenn das deutsche Schulsystem von der Idee einer „fiktiven Homogenität“ (Tillmann 2004: 9) der Schülerschaft geprägt ist, so haben schulisches Lernen und somit der Fremdsprachenunterricht schon immer in einem heterogenen Umfeld stattgefunden. Folglich wird individuellen Voraussetzungen und Unterschieden beim Fremdsprachenlernen eine große Rolle zugeschrieben, was sich in – nach wie vor aktuellen – Grundannahmen und Konzepten der Fremdsprachendidaktik wie der „Faktorenkomplexion des Fremdsprachenunterrichts“ (Bausch et al. 1982), der „Einzelgängerhypothese“ (Riemer 2001) oder der „Lernerorientierung“ widerspiegelt. In dem Anspruch, alle Lernenden gemäß ihrer kognitiven, affektiven, biologischen und sozialen Voraussetzungen zu fordern und zu fördern, sehe ich einen „weiten“ Inklusionsbegriff verortet. Seit der Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention (2008) in Deutschland erweitert sich das Spektrum individueller, lernerseitiger Einflussfaktoren im Unterricht dahingehend, dass Schüler/innen mit geistigen, emotional-sozialen und körperlichen Beeinträchtigungen den Fremdsprachenunterricht an Regelschulen besuchen, die zuvor – gemäß ihrem jeweiligen Förderschwerpunkt – spezialisierte Schulen besucht haben (vgl. Mendez 2012). Hier greift für mich ein „enger“ Inklusionsbegriff, der vor dem Hintergrund aktueller Ansätze wie Response to Intervention kritisch gesehen werden muss, da die jeweilige Beeinträchtigung erst deutlich ausgeprägt sein und diagnostiziert werden muss, bevor adäquate Fördermaßnahmen ergriffen werden bzw. das Kind in eine Inklusionsklasse aufgenommen wird (wait-to-fail). Lehrkräfte stehen vor diesem Hintergrund vor neuen Herausforderungen – auf vermeintlich homogene Lerngruppen abzielende Unterrichtskonzepte müssen endgültig überdacht werden. Zugleich bietet sich die Möglichkeit, an bereits etablierte didaktische Konzepte wie Handlungs- und Aufgabenorientierung, innere Differenzierung und formative Evaluation anzuknüpfen. Langfristig habe ich den Wunsch, dass wir auch in Deutschland zu einem weiten Inklusionsbegriff kommen, der gemeinsames Lernen und präventiv ausgerichtetes, pädagogisches Handeln unbürokratisch ermöglicht und von dem Bewusstsein gespeist wird, dass die Diversität unserer Gesellschaft eine Stärke ist, die es wertzuschätzen und zu nutzen gilt.
… das erweiterte Heterogenitätsspektrum im Fremdsprachenunterricht für die gesamte Lerngruppe nutzbar zu machen, denn das besondere Potential inklusiven Fremdsprachenlernens liegt in dem gemeinsamen Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne besonderen Förderbedarf. Dies impliziert, dass für den Fremdsprachenunterricht Bildungsziele formuliert werden, die an die fremdsprachliche und interkulturelle Ausbildung der Schüler/innen anknüpfen und zugleich über sie hinausgehen. Durch offene Unterrichtskonzepte, kooperative Lernformen oder die Arbeit an einem gemeinsamen Gegenstand (z.B. Feuser 1998) kann jede/r Schüler/in im Rahmen ihrer/seiner Möglichkeiten zum Lern- und Gestaltungsprozess eines gemeinsamen Arbeitsproduktes beitragen bzw. individuelle Lernziele erreichen; dies ist an eine gezielte Schulung methodischer Kompetenzen der Schüler/innen zu knüpfen. Auf der Ebene der Unterrichtsinhalte können Aspekte gesellschaftlicher Diversität (z.B. Mehrsprachigkeit, Behinderungen und Begabungen etc.) in den Fokus gerückt werden.
… dass die Unterrichtsplanung und -gestaltung möglichst an die individuellen Bedürfnisse (nicht nur) der beeinträchtigten Schüler/innen angepasst wird. Dies kann beispielsweise den Einsatz technischer Hilfsmittel insbesondere bei hör- oder sehgeschädigten Schüler/innen bedeuten; für Schüler/innen mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten kann bei der Materialauswahl und -gestaltung auf eine größere, serifenfreie Schrift mit ausreichend großem Zeilenabstand und reduzierte Visualisierungen geachtet und vermehrt multisensorisches Arbeiten und Übungen zur Automatisierung angeboten werden (vgl. Reimann 2014); eine reizarme Arbeitsumgebung und häufige Pausen mit Gelegenheit zur Bewegung kommen Schüler/innen mit AD(H)S entgegen (vgl. Mendez 2012) usw.
… dass über gezielte und umfassende Investitionen auf institutioneller Ebene bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, die eine erfolgreiche Inklusionsarbeit an Schulen erst ermöglichen (vgl. Speck 2015, 68). Dazu zählen beispielsweise eine adäquate räumliche und technisch-mediale Ausstattung, die Verfügbarkeit passender Unterrichtsmaterialien und, die Möglichkeit zum Team-Teaching bzw. zur Bildung multiprofessioneller Teams von Lehrkräften mit förderpädagogischem, lerntherapeutischem oder psychologisch geschultem Fachpersonal.
… dass Lehrkräfte in den drei Phasen ihrer Ausbildung die Möglichkeit bekommen, „anschlussfähige allgemeinpädagogische und sonderpädagogische Basiskompetenzen für den professionellen Umgang mit Vielfalt in der Schule, vor allem im Bereich der pädagogischen Diagnostik und der speziellen Förder- und Unterstützungsangebote“ (KMK 2015, 3) zu entwickeln und auf die Arbeit in interdisziplinären Teams vorbereitet werden, um diese kooperativ und gewinnbringend gestalten zu können.
Literaturhinweise
Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert; Hüllen, Werner & Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (1982): Das Postulat der Lernerzentriertheit. Rückwirkungen auf die Theorie des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer.
KMK (2015): Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt. Gemeinsame Empfehlung von Hochschulrektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz. Online unter: http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen _beschluesse/2015/2015_03_12-Schule-der-Vielfalt.pdf (abgerufen am 28.07.2017)
Feuser, Georg (1998): „Gemeinsames Lernen am gemeinsamen Gegenstand.“ In: Hildeschmidt, Anne & Schnell, Irmtraud (Hrsg.): Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle. Weinheim: Juventa, 19-35.
Mendez, Carmen (2012): „Inklusion im Fremdsprachenunterricht. Herausforderung und Chance.“ In: Praxis Fremdsprachenunterricht 9 (1), 5-8.
Reimann, Daniel (2014): „Legasthenie im Französischunterricht. Symptomatik – Maßnahmen – Perspektiven.“ In: Praxis Fremdsprachenunterricht Französisch 2, 8-12.
Riemer, Claudia (2001): „Die Einzelgänger-Hypothese. Ein Beitrag zur Erforschung individueller Unterschiede im Fremdsprachenerwerb.“ In: Bayrhuber, Horst; Finkbeiner, Claudia; Spinner, Kaspar H. & Zwergel, Herbert A. (Hrsg.): Lehr- und Lernforschung in den Fachdidaktiken. Forschungen zur Fachdidaktik. Vol 3. Innsbruck: StudienVerlag, 141-150.
Speck, Otto (2015): „Positionsartikel. Das schulpolitische Inklusionsdilemma in Deutschland. Die Verabschiedung des Inklusionsgesetzes im Deutschen Bundestag und deren Folgen.“ In: Heilpädagogische Forschung 41 (2), 62-69.
Tillmann, Klaus-Jürgen (2004): „System jagt Fiktion. Die homogene Lerngruppe.“ In: Friedrich Jahresheft 23, 6-9.