Daniel Rühlow (Universität Greifswald)
Abstract
This paper reflects on aspects of enabling inclusive ELT based on Feuser‘s concept of common subject-matter-led cooperation (u.a. 1989, 1995), holism and sensitivity to heterogeneity. Aspects of Tesch’s common-subject awareness are theoretically and practically discussed by giving examples from research done in a class of sixth-graders who explored the Olympic spirit in a key question-centred learning setting. Examples from portfolios, questionnaires, observations and student’s output serve as an explanatory link between theoretical approaches and practical, research-based views on inclusive ELT.
1. Einleitung und Problemstellung
Die Gesellschaft für Fachdidaktik stellt in ihrem 19. Positionspapier, das sich dem Thema des inklusiven Unterrichts widmet, u.v.a. folgende zentrale, den derzeitigen fachdidaktischen Forschungsdiskurs besonders bewegende Frage: „Wie können fachliche Lerninhalte mit ihren jeweils zugrundeliegenden Konzepten so modelliert werden, dass sie ihre Aneignung in unterschiedlicher Tiefe zulassen und dadurch für Lernende mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und -fähigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen zugänglich werden?“ (2015, S. 4f.).
Darin berufen sie sich außerdem auf das „gemeinsame Lernen“ (ebd.) und die allgemeine, entwicklungslogische und ganzheitliche Zugänglichkeit zu Lerngegenständen, die konzeptionell in der Nennung des Gemeinsamen Gegenstandes zu verorten sind. Feuser (1995) beschreibt diesen als Bestandteil einer allgemeinen integrativen Pädagogik, „[…] in der alle Kinder und Schüler in Kooperation miteinander, auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau, nach Maßgabe ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen, in Orientierung auf die ‚Zone der nächsten Entwicklung’, an und mit einem ‚gemeinsamen Gegenstand’ spielen, lernen und arbeiten.“ (S. 168).
Zusammen mit der oben aufgeworfenen Frage evoziert dies somit das Desiderat der konkreten Beschaffenheit eines heterogenitätssensiblen Englischunterrichts.
In konstruktiver Auseinandersetzung mit Piepho (1979) und der Beziehung zwischen Fachwissenschaften und -didaktik sieht Bredella in der Fachdidaktik jenes Aufgabenfeld wirksam werdend, „die Bedeutung der jeweiligen Gegenstände für die geistige und seelische Entwicklung der Lernenden zu erfassen“ (2008, S. 58). Weiterhin sagt er:
Der Hinweis an die Schüler, dass diese Redemittel später einmal wichtig sein werden, reicht für die Motivation zum Lernen im Hier und Jetzt nicht aus. Man braucht somit relevante und interessante Inhalte. Aber auch die gehaltvollen Inhalte allein genügen nicht. Es müssen Aufgaben hinzukommen, die zur selbstständigen Auseinandersetzung mit den Inhalten ermutigen.
ebd., S. 61
Dass die lebensweltliche Anbindung die Lernenden motivisch maßgeblich beeinflusst (Tesch 2014, S. 57), wird in vielen Kriterienkatalogen guter Unterrichtsaufgaben aufgeführt. Schäfer und Springob führen beispielsweise Kriterien guter Lernaufgaben der QUA-LiS NRW auf, worunter z.B. Aspekte der Herausforderung, Bedeutsamkeit und Vernetzung des Gelernten und der Kompetenzen fallen (2018, S. 168). Inklusionsorientiert sollten lehrer- und lernerzentrierte Sensibilitäten im Wechselgefüge der im Begriff selbst verankerten Wahrnehmungsfähigkeit (Schmitz & Simon 2018) kontextsensibel eingeflochten werden. So gesellen sich zu Zielen und Kriterien jene für den inklusiven Englischunterricht geltenden Lernerfahrungen, z.B. die natürliche subjektive Lebensweltorientierung und Lernmotivation, die Individualisierung, Ganzheitlichkeit, Anschaulichkeit, Handlungsorientierung, sowie das kooperative Lernen (Klein-Landeck 2014, S. 43-45).
Der so herzustellende Zusammenhang zwischen guter Lernaufgabe und bewusster Sprachanwendung besteht darin, „dass notwendige Lernprozesse initiiert und aktiviert werden, die im Folgeschritt individuelle Lernprozesse sichtbar machen und den Ausgangspunkt für eine bewusstmachende Reflexion bilden“ (Windmüller-Jesse & Talarico 2018, S. 86). Ein möglicher Weg für solche Sichtbarmachungen kann die Arbeit am Gemeinsamen Gegenstand sein. Darin zentriert Feuser die „kooperative Tätigkeit am Gemeinsamen Gegenstand“ für den Bereich des Pädagogisch-Performativen und Fachdidaktisch-Praxeologischen (Feuser 1999, 46). Diesen Gemeinsamen Gegenstand jedoch fremdsprachendidaktisch so zu interpretieren, dass das ursprüngliche Konzept erhalten bleibt, erscheint als gegenwärtige Herausforderung.
So heben Schäfer & Springob hervor, dass der Gemeinsame Gegenstand sich in der Schulung derselben Fähigkeiten, der Arbeit aller am gleichen (individualisierten) Gegenstand oder in der Bearbeitung desselben inhaltlichen Themas zeigen kann (2018, S. 165; Springob 2017, S. 328). Frickel et al. setzen die Profilbildung formaler und thematischer Aspekte der Eignung von Gegenständen hinsichtlich einer „Literatur für alle“ in das Zentrum ihrer fachdidaktischen Überlegungen (2018, S. 126.) Bartosch und Köpfer verstehen den Gemeinsamen Gegenstand als Prozesskategorie und sehen eine englischdidaktische Realisationsform in der gemeinsamen Bearbeitung von Aufgaben, deren positiver Komplexitätsgrad mit einer inhaltlichen und formalen Öffnung einhergehen sowie u.a. „Lebensbedeutsamkeit“ und „Handlungsfähigkeit“ als schülerzentrierte und zielführende Kategorien einschließen sollte (2015, S. 200).
Grund für diese in aller Kürze nur angerissene Ambivalenz in der fachdidaktischen Auslegung und Umsetzung von Feusers Konzept ist das vielseitig diskutierte Zitat: „Der ‚gemeinsame Gegenstand’ integrativer Pädagogik ist nicht das materiell Fassbare, das letztlich in der Hand des Schülers zum Lerngegenstand wird, sondern der zentrale Prozeß, der hinter den Dingen und beobachtbaren Erscheinungen steht und sie hervorbringt.“ (Feuser 1989, S. 32). Zwar liegt der Fokus auf dem Gemeinsamen und Prozessualen, jedoch ist auch das ko-konstruktivistische, vernetzende und multimodale, oberflächen- und/oder tiefenstrukturelle Lernen inbegriffen. Eine so ausgedrückte, bereits von Bredella angesprochene lernerzentrierte Relevanz- und Bedeutsamkeitsdimension von Lerngegenständen wird von Tesch in seinem Verständnis einer fremdsprachlichen Gegenstandsbewusstheit aufgegriffen. Tesch (2014) führt folgende Definition an:
Fremdsprachliche Gegenstandsbewusstheit trägt dem vielschichtigen, vernetzten Charakter der Lerngegenstände und den darauf bezogenen vernetzten Lernaktivitäten Rechnung. Fremdsprachliche Gegenstandsbewusstheit impliziert, dass sprachliche, textbezogene und kulturelle Lerngegenstände in einer gegenseitigen Konstruktionsbeziehung stehen, d.h. dass sie einander mit aufbauen und sich gegenseitig verstärken. Fremdsprachliche Gegenstandsbewusstheit beinhaltet somit auch die Fähigkeit, Relevanzen, bezogen auf die verschiedenen Bezugsebenen, individuell und überindividuell wahrzunehmen und zu koordinieren.
ebd., S. 52
Er unterscheidet folglich in Relevanzebenen (Bezüge) und in relationale Relevanzstufen. Relevanzbezüge lassen sich zum Thematischen, Inter- und Transkulturellen, Sprachlichen und Pragmatischen sowie bezogen auf Texte und Diskurse herstellen (ebd., S. 53-54). Am Beispiel der individuellen thematischen Relevanz verdeutlicht Tesch folgende Relevanzstufen: Wahrnehmung und Benennung (I), Reflexion der eigenen Motive bezogen auf die individuelle Relevanzwahrnehmung (II), Wahrnehmung und Reflexion der Relevanzstruktur innerhalb der Klasse (III) sowie die Sensibilisierung/Koordination von Eigen- u. Fremdperspektive bezüglich des Interesses an diesem Thema (IV) (ebd., S. 57). Hinsichtlich der Setzung interkultureller Themen im Fremdsprachenunterricht durch Lehrperson, -buch oder (außer)schulische Vorgaben, macht Tesch deutlich, dass auch hier subjektive Relevanzen untersucht werden können (ebd., S. 59).
Im Fokus dieses Artikels stehen folglich die interkulturelle kommunikative Handlungskompetenz sowie die fremdsprachliche Gegenstandsbewusstheit. Es gilt, an einem Beispiel darzulegen, wie Lernende bei der Arbeit an einem Gemeinsamen Gegenstand hinsichtlich ihrer fremdsprachlichen Gegenstandsbewusstheit unter Berücksichtigung verschiedener möglicher Relevanzbezüge- und stufen auf die ihnen gebotenen Themen und Aufgaben individuell und überindividuell reagiert haben und welche Implikationen dies für die Gestaltung heterogenitätssensibler Lehr- und Lernsettings des Englischunterrichts bietet.
2. Kurzvorstellung des Projekts und Beispiels
Ein möglicher bewusstmachender Zugang ist die Arbeit mit offenen Fragestellungen, wie sie u.a. in der Storyline-Methode (u.a. Ehlers 2016) genutzt werden. Die offenen Fragen werden dort konzeptionell als key questions bezeichnet. Sie sind bezüglich der in ihnen angesprochenen Thematik, evozierten Diskurse sowie kommunikativen Handlungsspielräume so weit geöffnet, dass die heterogenitätssensiblen Komponenten der Differenzierung und Individualisierung inbegriffen sind.
Im Zuge der Qualitätsoffensive Lehrerbildung in Mecklenburg-Vorpommern sind an der Universität Greifswald (2016 bis 2019) solche auf key questions aufbauenden Lehr- und Lernsettings in der Orientierungsstufe (5./6. Klasse) an vier unterschiedlichen Schularten entwickelt und erprobt worden. Da Lernende aus vielfältigen Kontexten in dieser Übergangsphase zwischen Primarstufe und Anschluss-Schultypen zusammentreffen, eignet sich die Orientierungsstufe hervorragend zur Erforschung heterogener Lerngruppen. Insgesamt waren 110 Schüler*innen involviert, von denen 12 intensiver hinsichtlich ihres individuellen und kooperativen Umgangs mit den im Setting gebotenen zielsprachlichen Lerngegenständen beobachtet wurden. Ziel war es u.a. herauszufinden, wie die Arbeit am Gemeinsamen Gegenstand im Englischunterricht umgesetzt werden kann und welche Wirkung dies erzielt. Zur Datengewinnung sind Beobachtungen, Schülerportfolios und -fragebögen eingesetzt worden. Wie in Abb. 1 ersichtlich fokussieren die Fragebögen auf den Ist-Stand vor (I) und nach (II) der Unterrichtseinheit. In ihnen kamen einerseits Vierfach- Skalen zur kommunikativen Kompetenzselbsteinschätzung sowie offene Fragen bezüglich individueller Aufgaben-Einschätzungen zum Einsatz. Erinnerungswürdige und positiv wie negativ eingeschätzte Aufgabenformate sowie Modifizierungswünsche sind u.a. Gegenstand des Fragebogens II und werden in diesem Aufsatz zusammen mit Ergebnissen aus Beobachtung und Schülerportfolio maßgeblich herangezogen. Das Schülerportfolio diente als Selbstbeobachtungsinstrument zur Dokumentation und Reflexion der Lernprozesse und -produkte. Diese Selbsteinschätzung wird ergänzt durch die protokollarische Fremdeinschätzung mittels teilnehmender Beobachtung. Hier lag der Fokus u.a. auf dem Verhalten der Lernenden in unterschiedlichen Sozialformen und Aufgabensettings.
In Abbildung 1 findet sich zeitliche Verortung der Unterrichtseinheit (Regionale Schule, Klasse 6) und Forschungsinstrumente.
Abbildung 1: Zeiten der Durchführung und forschenden Begleitung (6.Klasse, Regionale Schule in Mecklenburg-Vorpommern).
Im Zentrum dieser Einheit stand die Frage danach, was der olympische Geist sei (Abb. 2). Mithilfe einer methodischen Verbindung aus Gruppenpuzzle und dem Storyline-intendierten narrativen Rahmen (Erkundung der Olympischen Spiele durch Vertreter unterschiedlicher fiktiver Länder, die eine potentielle nächste Teilnahme erwägen) konnten verschiedene thematische, inter- und transkulturelle sowie sprachlich-pragmatische Bezüge hergestellt werden.
Abbildung 2: Lehr- und Lernsetting (6. Klasse) zur Beantwortung der Schlüsselfrage What is the Olympic Spirit? (eigene Darstellung, DR).
Die Klasse bestand aus 26 Lernenden (davon zwei Drittel männlich). Von Interesse war es, zu sehen, wie sich die Schülerinnen im Kreis der überzähligen Schüler bei dieser Thematik und in diesem Setting verhalten. Daher sind hier Schülerinnen als individuelle Lernende für die Beobachtung ausgewählt worden.
Die Schüler*innen wurden in Stamm- und Expertengruppen eingeteilt. Die Stammgruppen (Ländergruppen) arbeiteten an zielkonvergenten Produkten. Die Expertengruppen mit spezifischen Rollen führten im Verlauf der Unterrichtseinheit zu zieldivergenten Produkten. Medial gestützte Verfahren und (rollen)spezifische language ‚trainings‘ mit textsortenspezifischen und rahmenplankonformen, grammatikalisch-pragmatischen Bezügen (z.B. das will-future zur Formulierung von Plänen und Zeitangaben) kamen außerdem zur Anwendung. Die so ermöglichten individuellen und kooperativen Zugänge dienten dazu, die als Gemeinsamer Gegenstand aufgeworfene key question in vielfältigen handlungs- und produktionsorientierten Aufgaben zu beantworten und die Ergebnisse auf einer simulativen Pressekonferenz zu bündeln.
Primär schulen die Lernenden in dieser Einheit ihre interkulturellen (wechselwirksamen) kommunikativen Handlungskompetenzen in Form des Global- und Detailverständnisses anhand mündlicher und schriftlicher Modelltexte, die wiederum das Lese- und Hör-Seh-Verstehen sowie die Produktion eigener multimodaler Texte unterstützen. Weiterhin sollte das zusammenhängende und dialogische Sprechen in individuellen, kooperativen und plenaren Arbeits- und Präsentationsphasen gefordert und gefördert werden.
3. Auszüge aus Ergebnissen
3.1 Relevanzen zwischen Kooperation und Individualisierung
An der Fragebogen II-Befragung nahmen 22 der 26 Lernenden teil. Unter den Aspekten Gefallen („Das mochte ich besonders“) und Erinnern („Das ist mir besonders im Gedächtnis geblieben“) wurde nach relevanten Sachverhalten gefragt. Außerdem standen direkt Aufgaben/Themen, die den Lernenden besonders gefallen haben, sowie Begründungen hierfür im Vordergrund.
Beim Aspekt des Gefallens werden zumeist konkrete unterrichtliche Tätigkeiten benannt. Die Relevanz-Wahrnehmung zeigt sich primär in Form von Operatoren mit (kreativen) prozessualen und produktiven Bezügen (entwerfen, erfinden, ausdenken, erstellen, vorstellen und präsentieren). Es tauchen auch jene für den Gemeinsamen Gegenstand fokalen Operatoren auf, nämlich arbeiten („Arbeiten mit dem I-Pad“), spielen („bei den Richtern das Logo vom nächsten Olympischen Spielen spielen“) und lernen („viel lernen“). Dies verdeutlicht die darin zum Ausdruck kommende individuelle und lerngruppenspezifische Relevanz für lerngegenständliche Tätigkeiten mit kreativem Charakter.
Für den Aspekt des Erinnerns liegt der Fokus ebenfalls auf Tätigkeiten. Operational stehen das Präsentieren, Vorstellen und Zeigen im Vordergrund. Vor diesem Hintergrund erscheint es interessant, dass die Lernerautonomie, verschiedene Produkte (Logo, Video) Themen (Paralympics), Arbeitsformen (Expertenteam) und Tätigkeiten (präsentieren, erfinden, aufnehmen) durch unterschiedliche diskursive und reflexive Äußerungen komplettiert werden. An dieser Stelle sei exemplarisch auf die Erkenntnis, „dass die Paralympics ein anderes Logo als die Olympischen Spiele haben“ verwiesen, welche im Sinne der Gegenstandsbewusstheit auf einen konsolidierten Wissensbestand, eine Kognitivierung für das Symbolische (Logo), (Ziel)kulturelle (Paralympics) und Interkulturelle (Olympischen und Paralympischen Spielen) hinweist. Andererseits ist die individuell relevante Erkenntnis, „dass Zusammenarbeit cool ist“ zu nennen, da hier das Kooperative auf die Stufe der (selbst)reflexiven Sensibilisierung und Koordination der Eigen- und Fremdperspektive deutet.
Auch ein und derselbe Bezugsgegenstand (Pressekonferenz) lässt unterschiedliche individuelle Relevanzebenen erkennen. Die Aussage „Das[s] wir einen Vortrag gehalten haben“ fokussiert deutlich das Situativ-Sächliche, wobei Ort und Art der Präsentation in der Schüleraussage „die Vorträge in der Turnhalle“ hervortreten. In den Aussagen “Die Vorstellung“ und „Vorstellung der Ergebnisse“ wird das produktiv und prozessual Zielführende zentriert, während die Nennung „Als wir unsere Sachen bei der Präsentation vorstellen sollten“ auf den bewussten Moment des didaktisch Gesetzten („sollten“) verweist. Der mediale Aspekt schließlich kommt in der Aussage, „wo alle Filme gezeigt worden sind“ zum Tragen. Diese sechs Beispielnennungen verdeutlichen das natürliche heterogenitätssensible Relevanz-Erleben Lernender. So setzen sie in eben solchen Momenten des Lernens am Gemeinsamen Gegenstand zwar individuell unterschiedliche Schwerpunkte, zeigen jedoch in der Gesamtschau Verbindlichkeiten zu Aufgaben(typen) und Relevanzkategorien.
Kategorisiert man beispielsweise die Nennungen unter der Frage nach positiv eingeschätzten Aufgaben, so ergibt sich folgende Verteilung:
Der handlungsorientierte, dominierende Bereich konstituiert sich aus der Erstellung eines fiktiven Landes sowie Hauses im Olympischen Dorf (11), der Kreation eines Logos (2), dem Vortragen (1) und der Arbeit mit dem I-Pad (1). Die Paralympics tauchen als einzige thematische Nennung neben generellen Aussagen, wie „alles“ (3), auf. Dreimal wurde keine Antwort gegeben.
Im folgenden Diagramm ist die daran gebundene Verteilung emotional-affektiver Begründungen dargestellt:
Hier deuten sich bestimmte ausschnitthafte motivationale Relevanzpräferenzen (Stufe III) der Lerngruppe an, bspw. sind Kreativität und Interesse relevanter als Spaß und Interaktion. Bezüglich einer kooperativen Aufgabe (Das Erfinden des Eigenen Landes) lassen sich in Begründungen individuelle Relevanzausprägungen (Stufe II) finden:
„Wir konnten unserer Fantasie freien Lauf lassen.“ (Kreativität)
„weil man dort sehr viel Auswahl hatte, was man machen möchte.“ (Interesse)
„weil es Spaß machte sich etwas auszudenken, wie z.B. Name.“ (Spaß)
„alles, außer den Brief, weil wir das gut erklärt bekommen haben.“ (Interaktion)
In dieser Aufgabe wurden auch individuelle (inter)kulturelle Relevanzen über kooperative Aushandlungsprozesse in Produkten sichtbar. Dazu zählen Zitationen („You shall not pass! Zitat Gandalf“), (ziel)kulturelle Aspekte („country: Australia, national animal: Wallaby, national drink/food: bambooshake“) und lebensweltlich- popularkulturelle Bezüge „döner makes prettier“).
3.2 Individuelle und selbstreflexive Gegenstandsbewusstheit bei drei Schülerinnen
Für die drei Schülerinnen, die gezielt beobachtet wurden, kann festgestellt werden, dass die Kreativität ausschlaggebend für die Positiveinschätzung von Aufgaben ist. Dies wurde von zwei Schülerinnen (S1 und S2) in den Fragebögen angegeben und bei der dritten Schülerin durchgängig verhaltenstechnisch beobachtet. Die Schülerinnen S1 und 2 beziehen sich zudem auf die Arbeit in Teams bzw. Gruppen, wobei S3 im Portfolio angibt, sich in der Gruppenarbeit und beim Englischsprechen sicher- und wohlzufühlen. Verbesserungen werden in der Aufteilung der Gruppen (S1), bei Pausen und der Lautstärke (S2) gesehen.
Die Beobachtung ergab, dass der Zeitfaktor für die Bearbeitung von weniger kreativen Aufgaben für S1 von Bedeutung ist. So bildet sich hier ein zirkulärer Bedingungskreis zwischen Intransparenz der Aufgabenstellung, Verklausulierung der angestrebten Tätigkeiten, des Zeitbedarfs zur Klärung von Fragen, damit zusammenhängenden Motivationsabsinken und schließlich der fehlenden Zeit zur vollständigen Bearbeitung von Aufgaben. Folglich haben sich transparente Aufgabenstellung, gestalterische Aufgaben sowie Phasen der Einzelarbeit als besonders produktiv für diese Schülerin erwiesen.
Spielerische (Vokabelspiele) und kreative Formen, wie das Gestalten der Länder (Zeichnen, etwas Erfinden) haben sich für S2 als motivierend herausgestellt. Sie hebt die Autonomie der Aufgabenwahl als erinnerungswürdig hervor. Besonders gefallen haben ihr dabei die Flagge und die Expertengruppe (Journalists), verbunden mit der Aufgabe, „über eine ausgedachte Person [zu] schreiben“. Die Beobachtung zeigte, dass S2 sich bei Unsicherheiten häufig bei der Lehrkraft rückversicherte – so beispielsweise beim Schreiben einer E-Mail/eines Briefes (“Womit fängt man an?”, “Man fängt mit dear an, oder?“) Dies lässt darauf schließen, dass eine aktive Prozessbegleitung, das bewusste und zielgerichtete Ermöglichen von Denkpausen sowie damit vereinbare kleinschrittige Zwischenkontrollen mit der von ihr als relevant hervorgehobenen Autonomie methodisch abzugleichen sind.
S3 zeichnet sich durch vor allem künstlerische und sprachliche Aspekte der Gegenstandsbewusstheit aus, was sich in ihrem kreativen Entfaltungsdrang zeigt. Im Kontext mündlicher Beiträge ist anzumerken, dass S3, obwohl sie über hohe kommunikative Fähigkeiten verfügt, dem Präsentieren aversiv gegenübersteht. Der hohe Grad an kreativem Potential, der sie zum aufgabenkonformen Umgang mit sprachlichen Themen und Diskursen motiviert, kann jedoch bei irrelevant wahrgenommenen Aufgaben (z.B. längere Schreibaufträge) als Möglichkeiten der Kompensation bis hin zur Aufgabenflucht genutzt werden.
3.3 Zwei (symbolische) Beispiele für die Wirkmechanismen der Kooperation am Gemeinsamen Gegenstand
Eine multimodale Bearbeitungsform war die kooperative Erstellung von Expertengruppen-Logos, über die anschließend demokratisch abgestimmt wurde. Folgendes Logo (siehe Abb. 3) ging hierbei als Sieger hervor.
Abbildung 3: Logo der Paralympic Coordinators im Erarbeitungsprozess (links) und als Produkt während der Abstimmung (rechts).
Deutlich wird der Bezug zum originären Logo der Olympischen Spiele. In der kreativen Auseinandersetzung wird das Symbolische (Die Olympischen Ringe) mit dem Ikonischen (Rollstuhlfahrer) verbunden. Im Logo treten die abstrakten Gedanken der sportlichen Offenheit und Verbundenheit in greifbarer und personalisierter Form zum Vorschein. Dies ist somit ein Beitrag zur gegenstandsbewussten Beantwortung der zentralen key question unter Berücksichtigung der individuellen und kooperativen thematischen und diskursbezogenen Relevanz.
In einer weiteren Aufgabe sollten am dritten Tag des Projekts Wimpel (Abb. 4) erstellt werden.
Abbildung 4: Ausschnitt der Wimpelkette.
Hinsichtlich der von Tesch vorgeschlagenen Relevanzstufen lässt sich sagen, dass die einzelnen Wimpel die subjektiv relevanten Erkenntnisse in ihrer jeweiligen verbalen und künstlerischen Benennung (Stufe I und II) repräsentieren. Die Wimpelkette symbolisiert die Verbindung dieser intersubjektiven Zugänge (Stufe III), welche sich insgesamt als die kooperative Teilantwort auf die zentrale Fragestellung zeigen (Stufe IV). Diese (über)individuellen Arbeitsprodukte sind somit kausal und sinngebend miteinander verknüpft.
Die zwei Wimpel (Abbildung 5) stehen z.B. im gemeinsam erarbeiteten thematischen Kontext der Paralympic Coordinators. Dabei zeigen sich zwei individuelle Ausprägungen von thematischer Gegenstandsbewusstheit. Einerseits wird die Relevanz des intersubjektiv ausgehandelten Logos (vgl. Abbildung 3) und der versprachlichten Funktion der Paralympics deutlich. Der andere Wimpel das originäre Logo und Motto als thematisch-diskursiv und individuell relevant herausstellt.
Abbildung 5: Beispiele für Wimpel mit konkretem Bezug zur Rolle des Paralympic Coordinators.
In diesem Beispiel wird deutlich, dass die Arbeit an einem Gemeinsamen Gegenstand über die kooperative Tätigkeit in den Expertengruppen ermöglicht, dass das als relevant Erfahrene nun in kondensierter und multimodaler Form (Bild, Text, Symbol) individuell ausgedrückt werden kann. Als produktiver Teil der Wimpelkette fungiert der Einzelbeitrag als konstruktiv-reflexive Antwortmöglichkeit für den individuellen Lerner und als ko-konstruktiv für die Lerngruppe. Inklusivität erscheint ermöglichungsdidaktisch in den (inter)subjektiven Lösungen, z.B. Fair Play, no doping, all people have a chance to win, never give up, swimming is cool, spirit in motion. Somit kommen nicht nur individuelle thematische Relevanzen (Stufen I und II), sondern vor allem tiefenstrukturelle sensibilisierende und koordinierende Relevanzen (III und IV) zum Ausdruck. Heterogenitätssensibilität tritt in der Darbietungsform subjektiver Bedeutsamkeiten und in der koordinierenden Wahrnehmung der Relevanzen durch die Mitlernenden hervor. Die bedeutungsaufgeladene Vielfalt handlungs- und produktionsorientierter Lösungen wird in ihrem inkludierenden Neben- und Miteinander auf vielen wirksam werdenden Relevanzebenen für alle greifbar. Wörter, chunks, Sätze, Bilder und Bild-Text-Verbindungen stehen hier als Ausdrucksformen der Kooperation am Gemeinsamen Gegenstand gleichrangig in personalisierter, generalisierter, informativer und ästhetischer Form.
4. Fazit
Mithilfe des Konzepts der fremdsprachlichen Gegenstandsbewusstheit konnte hier exemplarisch gezeigt werden, welches Potential offene Lernsettings bei der Arbeit am Gemeinsamen Gegenstand in heterogenen Lerngruppen entfalten können. Die angeführten Befunde haben gezeigt, dass multimodale Aufgaben in einem geöffneten Englischunterricht insofern als inklusiv zu bezeichnen sind, als dass in der schlüsselfrageninduzierten Arbeit an einem Gemeinsamen Gegenstand eine gute handlungsorientierte und ganzheitliche Verbindung vielfältiger (inter)subjektiver Relevanzen beim Zugang zu Lerninhalten über die englische Sprache ermöglicht werden kann. Die Lernenden sind so in die Lage versetzt, unterschiedlichen Formen des sprachlich-kulturellen Erlebens und Tiefen der thematisch-diskursiven Bewusstmachung zugänglich zu werden, ohne dass der gemeinsame Lernfokus verschoben wird. Gerade in der zentralen Vernetzung der einzelnen kooperativen und individuellen Teilgegenstände und -aktivitäten werden sowohl (teil)kompetenzorientierte, diskursiv-thematische als auch affektiv-emotionale Relevanzen für die Lernenden zum zentralen Motor dieses Settings. Kreative Zugänge haben sich in der Arbeit mit der Frage nach dem Olympic Spirit als motivierend und lernförderlich für diese Lerngruppe erwiesen, wobei das Prozessual-Ko-Konstruktive in kleineren individualisierten Aufgabenformaten, wie der Wimpelkette, als auch in größeren kooperativen und summativen Arbeitsformaten, wie der Pressekonferenz, wirksam wird. Die Eignung des Settings ist somit abhängig von der ko-konstruktiven fachdidaktischen Vereinbarkeit der (gesetzten) Inhalte, (über)individuellen Relevanzen sowie der jeweiligen ermöglichten Bewegungen der Lernenden innerhalb ihrer Zonen der nächsten Entwicklung. Es gilt daher, Relevanzen mit Blick auf den individuellen Lernenden als auch die gesamte Lerngruppe sichtbar zu machen, aufzufangen, einzubinden und das Setting dahingehend kontinuierlich zu modifizieren. Gleichermaßen erscheint es vielversprechend, diese multirelationalen Relevanzen weiterhin und ausdifferenzierter in inklusiven Settings zu beforschen.
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