Katja Heim (Universität Duisburg-Essen)
Julia Reckermann (Universität Paderborn)
Abstract
Die hier dargestellten ersten Ergebnisse einer Befragung von Expertinnen und Experten zur Förderung aller Schülerinnen und Schüler in einem geöffneten/offenen inklusiven Englischunterricht geben einen Überblick über die Vielzahl von Aspekten, die bei der Öffnung des Englischunterrichts in inklusiven Lernkontexten berücksichtigt werden müssen. Bei der Studie handelt es sich um Work-in-Progress, wobei ca. 50% der bislang erhobenen Interviewdaten ausgewertet sind und bei der sich weitere, ergänzende Studien der Autorinnen in der Planungsphase befinden. Auch in diesem Stadium können jedoch bereits interessante Einsichten in Teilergebnisse gewährt werden, z.B. in ein Kategoriensystem, das eine Zusammenschau von Aspekten erfolgreicher berichteter Unterrichtspraxis im inklusiven Englischunterricht bietet. Zudem werden Einblicke in die Daten zu einem ausgewählten Teilaspekt, zum Erlernen des Arbeitens mit offenen Aufgaben, gewährt.
1. Einleitung und Problemstellung
Die Einführung von inklusivem Englischunterricht auf breiter Basis hat die Diskussionen zur Gestaltung von Lernumgebungen und zu methodischen Herangehensweisen erneut angefacht (Bartosch & Rohde, 2014; Blume et al., 2018; Burwitz-Melzer, Königs, Riemer, & Schmelter 2017; Chilla & Vogt, 2017; Diehr, 2017; Gerlach, 2015; Köpfer, 2014; Roters, Gerlach, & Eßer, 2018; Springob, 2017). Während einige Autorinnen und Autoren Argumente für einen stärker durch die Lehrkraft vorstrukturierten inklusiven Fremdsprachenunterricht vorbringen (Diehr, 2017, S. 61), gehen andere davon aus, dass Inklusion vor allem in geöffneten oder offenen Lernszenarien gelingen kann (Schubert, 2017). Die Autorinnen dieses Beitrags sind, unter anderem aufgrund eigener Projekte und Publikationen (Reckermann, 2017; Waschk, 2008) sowie aufgrund rezipierter Publikationen (z.B. Dam & Legenhausen, 2013), mit der Vorannahme in diese erste Phase des Projekts gestartet, dass eine Öffnung des Englischunterrichts auch und gerade für inklusive Lehr-Lernkontexte eine Chance darstellt. Offener Unterricht wird in diesem Beitrag im Gegensatz zum geöffneten Unterricht nach der Definition von Peschel als Unterricht verstanden, bei dem eine Öffnung über organisatorische Aspekte, wie zum Beispiel freie Zeiteinteilung, hinausgeht und auch inhaltliche, methodische und soziale Aspekte mit einbezieht (Peschel, 2003, S. 50f.).
2. Forschungsprojekt
Im Rahmen des hier vorgestellten, noch laufenden Forschungsprojekts haben die Autorinnen bislang 12 semistrukturierte und leitfadengestützte Expert*inneninterviews mit Lehrkräften aus Grundschulen (n = 6) und Gesamtschulen (n = 5) sowie aus einer Förderschule (n = 1) geführt. Die Protokollierung erfolgte über Audioaufnahmen sowie einfache Transkription nach Dresing und Pehl (2015), die Auswertung in Form einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018).
Dem Projekt liegt vorrangig die Forschungsfrage zugrunde, ob bzw. wie alle Lernenden im offenen/geöffneten Englischunterricht, vor allem unter Einsatz von offenen Aufgaben, gefördert und gefordert werden können. Über die Argumentationsweise und die berichtete Praxis der Expertinnen und Experten sollen Einblicke in erfolgreiche Strategien im inklusiven Englischunterricht gewonnen werden, sowie auch etwaige wahrgenommene Grenzen eines geöffneten/offenen gemeinsamen Englischunterrichts und beim Einsatz offener Aufgaben aufgezeigt werden. Der Gesamtdatensatz wird in Hinblick auf verschiedene Fragestellungen analysiert, in einem ersten Schritt mit dem Fokus auf Aspekte, die die Lehrkräfte im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Fördern und Fordern aller äußern. Diese Ergebnisse sollen unter anderem dazu beitragen, ein Kriterienraster mit Gelingensbedingungen für den Einsatz von offenen Aufgaben herauszukristallisieren, welche sich sowohl aus der Literatur und Theorie als auch aus der Praxis der erfahrenen Lehrkräfte (siehe unten) ergeben, wobei hierzu noch Folgestudien geplant sind (siehe Ausblick). Zudem werden in der Analyse etwaige unterschiedliche Ansätze und berichtete Strategien der verschiedenen Expertinnen und Experten herausgestellt, die in der Folge in Einzelfällen zusätzlich in Form von Fallstudien näher betrachtet werden (siehe Ausblick).
Auswahl der Expertinnen und Experten
Die Teilnehmenden (n = 12) sind erfahrene Englischlehrkräfte aus Grundschulen, Gesamtschulen sowie einer Förderschule. Bei der Auswahl der Expertinnen und Experten für die Interviews wurde darauf geachtet, dass die Teilnehmenden über ihr reflexiv abrufbares Fachwissen hinaus auch in hohem Maße über praktisches Handlungswissen verfügten (Lamnek & Krell, 2016, S. 687). Aus inhaltlicher Perspektive war für die Auswahl von Bedeutung, dass bei den Expertinnen und Experten schon vor Gesprächen über die Studie eine Affinität zu geöffneten/offenen Lernkontexten im Englischunterricht erkennbar war und dass sie als Lehrkräfte Erfahrungen im Unterrichten in inklusiven Lehrsettings mitbrachten. Der Kontakt zu den Teilnehmenden kam in der Regel dadurch zustande, dass diese in der Öffentlichkeit durch ihre Konstruktion von Wirklichkeit (ebd.) Sichtbarkeit erlangt hatten, z.B. über Veröffentlichungen, Vorträge oder Mitarbeit an der Konzeption von Lernmaterialien. Zum Teil verfügten sie auch über eine institutionalisierte Kompetenz, die Handlungsentscheidungen anderer Akteure zu beeinflussen (ebd.), z.B. durch eine leitende Funktion in der Schule bzw. in der Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Inhaltlicher Fokus der Interviews
Der Leitfaden, der in allen Interviews eingesetzt wurde, enthielt neun zentrale Fragen und eine Abschlussfrage. Darüber hinaus wurden Eckdaten über die Teilnehmenden erfragt. Der Leitfaden erfüllte den Zweck, in allen Interviews einen Diskurs zu den Themenkomplexen zu initiieren und die Vergleichbarkeit der Interviews zu erhöhen, welche jeweils von einer der Forscherinnen einzeln mit den Expertinnen und Experten durchgeführt wurden. Es wurden im Verlauf der Interviews absichtlich verschiedene Begriffe rund um den Umgang mit Diversität und rund die Öffnung von Unterricht aufgegriffen und erörtert. Ziel war es, auf diese Weise zu erkunden, mit welchen Begriffssystemen die Interviewten in ihrer Praxis arbeiten, wie sie diese Begriffe verstehen und welche Aktivitäten ihre Praxis des inklusiven Englischunterrichts ausmachen. Zusätzlich zu den Leitfragen wurden in den Interviews, abhängig von der Ausführlichkeit und der Ausrichtung der Antworten, noch jeweils zusätzliche Fragen zur konkreten Unterrichtspraxis gestellt.
Leitfragen der Interviews:
- Was verstehen Sie unter Inklusion und was ist Ihre Vision eines gelungenen inklusiven Englischunterrichts?
- Inwieweit differenzieren Sie im Englischunterricht?
- Welche Medien und Materialien setzen Sie zur DIfferenzierung in Ihrem Englischunterricht ein?
- Können Sie uns kurz erläutern, was Sie unter offenem bzw. geöffnetem Unterricht verstehen?
- Können Sie uns kurz erläutern, was Sie unter offenen Aufgaben verstehen?
- Welche Rolle spielen offene Aufgaben in IHrem Englischunterricht?
- Sehen Sie Möglichkeiten, auch schwächere Lernende durch den Einsatz offener Aufgaben sinnvoll zu fördern?
- Eine Herausforderung von geöffnetem/offenem Unterricht und auch offenen Aufgaben besteht darin, dass die Schere zwischen schwachen und guten Lernenden nicht weiter auseinander geht und dass schwächere Lernende nicht zurückgelassen werden. Wie stehen Sie dazu?
- Fließen offene Aufgaben in die Leistungsbewertung ein? (Wenn ja, wie bewerten Sie offene Aufgaben?
- Möchten Sie noch etwas Weiteres sagen/fragen/erwähnen/etc., insbesondere zum Thema Inklusion/Fördern/Fordern/Differenzierung/Öffnung?
Aktueller Stand der Auswertungen
Von den bislang 12 geführten Interviews wurden 6 transkribiert und mit Hilfe der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) in Bezug auf eine Fragestellung ausgewertet. Die Entwicklung des Kategoriensystems zur erfolgreichen Förderung aller Schülerinnen und Schüler im geöffnetem bzw. offenem Unterricht erfolgte dabei sowohl deduktiv, d.h. unter anderem auf Grundlage des Leitfadens und aus bestehenden Publikationen, als auch induktiv aus den Daten hervorgehend.
3. Ergebnisse und Diskussion
Die aktuellen Ergebnisse stellen einen vorläufigen Stand des Projekts dar, da bislang etwa 50 % der bislang erhobenen Daten in Hinblick auf die vorerst zentrale Fragestellung analysiert worden sind. Kuckartz (2018, S. 86) gibt an, dass beim Bilden eines Kategoriensystems je nach Umfang des Materials meist nach Analyse von ca. 10 % bis 50 % eine Sättigung eintritt. Die Autorinnen gehen davon aus, dass das unten dargestellte Kategoriensystem (Abbildung 2) nach Auswertung der Hälfte der Daten soweit ausdifferenziert und anhand von Daten getestet worden ist, dass es in der aktuellen Version einen Beitrag zu den aktuellen Diskussionen rund um den inklusiven Englischunterricht leisten kann.
Das Kategoriensystem
Das Kategoriensystem (Abbildung 2), wurde im Hinblick auf folgende Fragestellung entwickelt: Welche Aspekte aus ihrer Unterrichtspraxis nennen die interviewten Lehrkräfte in Bezug auf die erfolgreiche Förderung aller Schülerinnen und Schüler in einem geöffneten/offenen Englischunterricht? Die Forscherinnen verfolgen durch das Erstellen des Kategoriensystems das Ziel zu eruieren, inwiefern sich in den Interviews ein Konsens zu essentiellen Aspekten beim Arbeiten mit geöffneten/offenen Elementen im Englischunterricht herauskristallisiert oder inwieweit die Interviewten eher konträre Aussagen zu wünschenswerten Zielen und erfolgreichen Strategien in solchen Unterrichtssettings treffen.
Abbildung 2: Hauptkategorien des aktuellen Kategoriensystems mit der jeweiligen Anzahl an Subkategorien in Klammern.
Die 13 in Abbildung 2 dargestellten Hauptkategorien sind zum Teil stark durch Subkategorien ausdifferenziert, was in Abbildung 2 durch die in Klammern angegebenen Zahlen deutlich wird. Inhaltlich werden in den Aussagen der Interviewten unterschiedliche Schwerpunktsetzungen deutlich – nicht alle fokussieren die hier aufgeführten Kategorien in gleicher Weise. Insgesamt ergänzen sich die Aussagen eher als dass sie sich widersprechen, sodass viele der genannten Aspekte in ein Kriterienraster für erfolgreiches Arbeiten in geöffneten/offenen Lernszenarien aufgenommen werden könnten. Es kristallisieren sich jedoch auch Aspekte heraus, bei denen die Expertinnen und Experten konträre Ansichten vertreten und es werden zum Teil auch unterschiedliche Strategien zum Erreichen ähnlicher Ziele beschrieben. Die Aussagen der Interviewten unterscheiden sich beispielsweise darin, was als fair und wünschenswert in Bezug auf ein Öffnen der „Leistungsschere“ zwischen schwächeren und stärkeren Lernenden im geöffneten/offenen Unterricht empfunden wird. Auch die Wege, die für eine erfolgreiche Öffnung vorgeschlagen werden, verdeutlichen eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung bei den ersten Schritten einer Öffnung (siehe die beispielhafte Darstellung von Ergebnissen zu diesem Aspekt im folgenden Abschnitt). Auf eine ausführliche Darstellung aller Subkategorien wird hier aus Platzgründen verzichtet. Im Folgenden (Abbildung 3) sollen jedoch exemplarisch die besonders häufig in den Interviews erwähnten Aspekte aufgeführt werden.
Abbildung 3: Die Subkategorien mit den häufigsten Nennungen (rechts) und die zugehörigen Hauptkategorien (links).
Zum Teil lässt sich die Häufigkeit von klaren Antworten und daraus resultierenden Subkategorien auf gezielte Fragen aus den Interviews zurückführen, z.B. wurde explizit nach dem Einfluss von offenen Aufgaben auf die Leistungsbewertung oder dem Einsatz nach Materialien zur Differenzierung gefragt. Nicht alle häufig genannten Subkategorien sind jedoch direkt durch die im Interview gestellten Fragen erklärbar. Alle Interviewten geben beispielsweise an, ihrer Arbeit einen eher weiten Inklusionsbegriff zu Grunde zu legen (Reich, 2014), d.h. dass sie ihr Verständnis von Inklusion nicht auf das gemeinsame Unterrichten von Lernenden mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf beschränken, sondern die vielen Facetten von Diversität im Klassenzimmer allgemein in den Blick nehmen; eine Perspektive, die auch in aktuellen Publikationen zur Inklusion vertreten wird (z.B. Reich, 2014; Roters et al., 2018). Insgesamt sind auch andere induktiv aus den Daten entwickelten Haupt- und Subkategorien in Einklang mit den aktuellen Diskussionen zur Differenzierung (Tomlinson, 2014; Eisenmann, 2012), zu offenen Aufgaben (Müller-Hartmann et al., 2013) und zur Öffnung des Unterrichts (Peschel, 2003) bzw. zur Lernerautonomie (Little, Dam, & Legenhausen, 2017). Entsprechend ist es nicht auszuschließen, dass das Antwortverhalten durch eine etwaige soziale Erwünschtheit (Gläser & Laudel, 2010, S. 135f.) bestimmter Antworten beeinflusst wurde. Ausgeschlossen werden kann zudem nicht, dass die Interviewführung inklusive einiger nicht neutral formulierter Fragen (siehe vor allem Fragen 7 und 8) die Diskussionen und auch die jeweiligen Darstellungen zur Unterrichtspraxis beeinflusst haben. Andererseits waren die Expertinnen und Experten auf Grundlage von bereits vor den Studien getätigten Äußerungen zum gewählten Themenkomplex für die Interviewstudie ausgewählt worden und entsprechend selbstbewusst wurde das jeweilige Handlungswissen aus der Praxis (Lamnek & Krell, 2016, S. 687) den Autorinnen gegenüber in den Interviews in der Regel kommuniziert. Der beispielhafte Einblick in Daten einer Hauptkategorie im nun folgenden Abschnitt verdeutlicht, wie klar die jeweiligen Positionen zum Beispiel in Bezug auf die Strategien für eine Öffnung des Unterrichts vertreten wurden.
Betrachtung beispielhafter Daten einer Hauptkategorie:
7. Wie Lernende das Arbeiten mit offenen Aufgaben erlernen
Die Hauptkategorie ‘Wie Lernende das Arbeiten mit offenen Aufgaben erlernen’ wurde für die exemplarische Darstellung ausgewählt, weil die Textauszüge aus dieser Kategorie verdeutlichen, dass die Arbeit in offenen Lernkontexten, und hier konkret mit offenen Aufgaben, kein Selbstläufer ist. In den Zitaten (Tabellen 1-3) werden unterschiedliche Wege zum Anbahnen der Arbeit mit offenen Aufgaben aufgezeigt, weshalb hier die Ergebnisse nach Fällen getrennt dargestellt werden.
Abbildung 4: Die Hauptkategorie 7 mit Subkategorien.
Zurzeit sind der Hauptkategorie drei Subkategorien zugeordnet (Abbildung 4). Die ersten beiden Subkategorien widersprechen sich zwar nicht zwangsläufig, es lassen sich jedoch gerade durch die Wortwahl in den hier zugeordneten Textsequenzen auch tendenziell unterschiedliche Haltungen und Überzeugungen der jeweiligen Expertinnen und Experten festmachen.
Tabelle 1: Textstellen aus dem Interview 7.
Die Textauszüge aus Interview 7 skizzieren eine weitgehende Öffnung, die eine methodische und inhaltliche Öffnung (Peschel, 2003) einschließt. Während die Expertin aus Interview 7 die Wichtigkeit betont, den Lernenden Zeit und Raum für die Entwicklung von Mut zur Sprachproduktion (und auch zu damit einhergehenden Fehlern) zu geben und von Erfolgen in Klassen berichtet, die sie länger als ein Jahr mit dieser Herangehensweise unterrichtet (Tabelle 1), setzt die Expertin aus Interview 4 auf eher engmaschigere Kontrollen und eine stärker angeleitete und graduelle Öffnung (Tabelle 2), berichtet aber gleichermaßen von Erfolgen.
Tabelle 2: Textstellen aus Interview 4.
Die Expertin aus Interview 12 setzt vor allem auf eine inhaltliche Öffnung von Beginn an, zunächst auf Wortebene und im weiteren Verlauf durch die Mitgestaltung ganzer Themenbereiche, wie zum Beispiel dem Entwickeln von Materialien, Charakteren und Szenarien rund um eine fiktive, gemeinsam zu gestaltenden Stadt im Rahmen einer Storyline (Ehlers, 2010). Innerhalb des Rahmens dieser Storyline erfolgt eine recht weitgehende Öffnung, bei der die Lernenden aber durch den gesetzten thematischen Rahmen am gleichen Gegenstand (Feuser, 1989) arbeiten.
Tabelle 3: Textstelle aus Interview 12.
Auf die Wichtigkeit, auf eine Öffnung auf strukturierte und auch kleinschrittige Weise hinzuarbeiten, wird vor allem von der Expertin in Interview 4 hingewiesen, strategische Überlegungen zu einer schrittweisen Öffnung können zudem aus der Textstelle aus Interview 12 (Tabelle 3) herausgelesen werden. Auch Springob (2017, S. 184f.) plädiert in inklusiven Settings für eine Mischung aus hoher Strukturierung und Führung sowie einer individualisierten Begleitung und weist darauf hin, dass eine Öffnung des Unterrichts zwar ein Ziel sei, jedoch gerade für viele Lernende mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Herausforderung darstelle. Eßer, Gerlach, & Roters (2018) schlagen für inklusive Lernkontexte ebenfalls ein eher strukturiertes Hinarbeiten auf Zielaufgaben vor.
Die Ausführungen von I7 deuten auf eine Unterrichtspraxis hin, die von diesen Vorschlägen deutlich abweicht. Die Lernenden werden dazu anregt, experimentierfreudig zu sein, wobei die Möglichkeit der (Self-)Expression (Underhill, Messum, & Young, 2019) der Ansatzpunkt zu sein scheint, um die Entwicklung einer langanhaltenden Motivation (Ushioda, 2014; Dörnyei, 2009) zu fördern. Die Wichtigkeit des Umsetzens eigener Redeabsichten wird auch in Interview 12 betont (Tabelle 3), in Anteilen auch in Interview 4. Inwiefern sich die Unterrichtsansätze der hier exemplarisch ausgewählten drei Expertinnen in der Praxis deutlich unterscheiden und wie beispielsweise I7 möglichst viele Lernende auf dem Weg zur Lernerautonomie unterstützt, auf welche Weise in den jeweiligen Kontexten eine Trennung und erneute Zusammenführung von Lerngruppen erfolgt und welche Dynamik in den jeweiligen Lerngruppen der Expertinnen und Experten entsteht, kann teilweise durch weitere Analyse der Daten, in erster Linie jedoch durch weitere Untersuchungen, wie zum Beispiel Fallstudien, erhoben werden (siehe Ausblick).
4. Ausblick
Die ersten Ergebnisse der hier skizzierten Studie legen nahe, dass offene Elemente im Unterricht von den Expertinnen und Experten deutlich als Chance auch für einen inklusiven Englischunterricht wahrgenommen werden. Sie implizieren aber auch, dass offene Elemente im Unterricht in ein langfristig angelegtes Unterrichtskonzept eingebunden werden müssen und die Vielzahl von Aspekten, die in den Interviews im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Fördern aller Schülerinnen und Schüler im geöffneten/offenen Unterricht genannt werden, verdeutlichen die Vielschichtigkeit der notwendigen Planungen und auch die Wichtigkeit der spontan im Unterricht zu treffenden Entscheidungen. Auch legen die Ergebnisse nahe, dass es nicht ein allgemeingültiges Schema gibt, nach dem eine Öffnung des Englischunterrichts stattfinden muss, sondern dass je nach Kontext und Einstellungen der Lehrperson auch ein ganz unterschiedliches Hinarbeiten auf eine Öffnung denkbar ist.
Die Autorinnen planen eine fortlaufende Analyse der Interviews, bei der neben der weiteren Ausdifferenzierung des Kategorienrasters auch eine Auswertung der Daten zu weiteren Fragestellungen, z.B. zu den Grenzen und Stolpersteinen beim gemeinsamen Lernen in geöffneten/offenen Lernkontexten sowie unter Nutzung offener Aufgaben (siehe auch Blume, Kielwein, & Schmidt, 2018; Springob, 2017) erfolgen soll. Zudem sollen, zum Teil gemeinsam und zum Teil in Eigenregie der einzelnen Autorinnen, Folgestudien durchgeführt werden.
Für eine der Teilstudien ist ein Projekt geplant, bei dem auf der Basis des entstandenen Kategoriensystems Gelingensbedingungen für den Einsatz von offenen Aufgaben herauskristallisiert werden sollen, welche sich sowohl aus der Literatur und Theorie als auch aus dem hier vorgestellten Kategoriensystem, d.h. aus der berichteten Praxis erfahrener Lehrkräfte, ergeben. „Gelingen“ bedeutet dabei grob gesagt, dass alle Lernenden in einer vielfach heterogen zusammengesetzten Lerngruppe erfolgreich an einer solch offenen Aufgabe auf ihrem individuellen Niveau arbeiten können und einen Lernzuwachs erfahren. In der Folgestudie soll das „Gelingen“ genauer definiert und darüber hinaus die zunächst herausgearbeiteten Gelingensbedingungen verifiziert und angewendet werden.
In einer anderen Teilstudie sollen ausgewählte Fälle durch weitere Erhebungen näher betrachtet werden, um ein genaueres Bild u.a. von den jeweils verfolgten, erfolgreichen Strategien der Lehrkräfte zu erhalten. In diesem Zuge werden die in den Interviews erhobenen Daten mit weiteren Datensorten abgeglichen und ergänzt, d.h. es werden zusätzliche Informationen zum Kontext, sowie beispielhaft zu Interaktionen im Unterricht sowie zur mittel- bis langfristigen fremdsprachlichen Entwicklung und Dynamik innerhalb von Lerngruppen ergänzt. Ziel dieser Studie ist es, komplexe inklusive Fremdsprachenlernkulturen zu beschreiben, sowie wahrgenommene Schwerpunktsetzungen innerhalb dieser Kulturen zu verdeutlichen.
Literatur
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