Konferenzbericht: „Inklusiver Englischunterricht – Gemeinsam Lehren und Lernen“

von Gastautorin Jana-Luise Bimkiewicz (Leuphana Universität Lüneburg)

Am 20. und 21. September 2018 richteten das Zukunftszentrum Lehrerbildung (ZZL), die Qualitäts- und Unterstützungsagentur – Landesinstitut für Schule des Landes Nordrhein-Westfalen (QUA-LiS NRW), das Netzwerk Inklusiver Englischunterricht und die Leuphana Universität Lüneburg die Tagung und Lehrkräftefortbildung „Inklusiver Englischunterricht – Gemeinsam Lehren und Lernen“ (IEGLL) aus. Mit ca. 200 Teilnehmer_innen stellte sie die größte Konferenz des Jahres in der Fachdidaktik Englisch dar. Die Relevanz der Thematik im Bildungsdiskurs und der Unterrichtsrealität wird dadurch unterstrichen. Der Titel und das Konzept der Veranstaltung verdeutlichen die Verknüpfung unterschiedlicher Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis. Die Konferenz gab nicht nur einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand in Form von Vorträgen, sondern bot im Rahmen von Workshops auch Unterrichtsbeispiele verschiedener Schulformen und Anregungen für eine direkte Umsetzung in der schulischen Praxis. Thematisch deckte die Tagung das Spektrum rund um die Chancen und Herausforderungen des gemeinsamen Unterrichtens von Schüler_innen mit all ihren individuellen Bedürfnissen im Englischunterricht ab.

Verbunden mit dem gesellschaftlichen Wandel Ende des 20. Jahrhunderts hat sich der Begriff “Inklusion” global durchgesetzt. Er manifestiert den Rechtsanspruch aller Menschen auf eine  gleichberechtigte Existenz und Teilhabe in bzw. an allen gesellschaftlichen Bezügen. Mit dem Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, die 2009 in Deutschland in Kraft getreten ist, wird Menschen mit besonderen Bedürfnissen ein gleichberechtigter Zugang zu Bildung gewährleistet (BGBl. 2008 II Nr. 35: 1436ff). Damit einhergehend hat ein inklusives Bildungssystem den Auftrag, von Anfang an Vielfalt und Heterogenität wertzuschätzen, zu fördern und auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden abzustimmen. Dieses enge Inklusionsverständnis hat seitdem über die Bildungspolitik systematisch in den Schulgesetzen sowie Curricula und Lehrplänen Einzug gehalten. Nichtsdestotrotz ist Inklusion deutlich mehr, sodass der weite Inklusionsbegriff der Konferenz wie auch diesem Bericht zugrunde liegt. Es werden alle Heterogenitätsdimensionen (Alter, Geschlecht, Sprache, Herkunft, Kultur, Religion, Sozio-ökonomischer Status etc.) berücksichtigt, die die Grundlage einer pluralen Gesellschaft bzw. Schulklasse bilden. Dies bedeutet für den Englischunterricht, vor dem Hintergrund als Kernfach im Schulsystem und der zunehmenden Relevanz der englischen Sprache als notwendige Voraussetzung zur Partizipation in einer globalen Welt, dass Schüler_innen mit der gesamten Bandbreite an individuellen Bedürfnissen und Lernvoraussetzungen gemeinsam in einer Klasse lernen und darauf vorbereitet werden. Allen Schüler_innen wird also die Teilhabe am Englischunterricht ermöglicht. Die Anerkennung der Vielfalt der Kinder und Jugendlichen sowie dessen Relevanz für den Englischunterricht, führt folglich zur Frage der konkreten Umsetzung in der schulischen Praxis. Noch 2010 diagnostizierte MATTHIAS TRAUTMANN (2010: 10) eine „hohe Diskrepanz zwischen den Empfehlungen der Fremdsprachendidaktik und der Praxis des Englischunterrichtens“ in inklusiven Settings. Doch wo stehen wir heute?

  • Wie kann inklusiver Englischunterricht gelingen?
  • Was ist guter inklusiver Englischunterricht?
  • Welcher Formen von Differenzierung bedarf es?
  • Welche Kompetenzen benötigen Lehrkräfte?
  • Und was bedeutet das für die Lehrkräftebildung?

Ziel der Konferenz war es, auf u.a. diese komplexen Fragen unter Berücksichtigung des aktuellen Diskurses erste Antworten zu liefern. Darüber hinaus sollte die Tagung eine Brücke schlagen, eine Vernetzung sowie Inspiration zwischen Wissenschaft, Lehrkräfteausbildung und schulischer Praxis ermöglichen, um die Umsetzung eines inklusiven Englischunterrichts aus interdisziplinärer und fachdidaktischer Perspektive zu konkretisieren. Nachfolgend bietet dieser Bericht einen Eindruck über die wichtigsten und interessantesten Ergebnisse und Beiträge der Konferenz.

Eröffnet wurde die Konferenz von Prof. Dr. JUDIT KORMOS (University of Lancaster) mit ihrem Vortrag zu Sprachlernprozessen von Schüler_innen mit bestimmten Lernschwierigkeiten. Anhand von sechs Schlüsselelementen diskutierte KORMOS, wie Lehrkräfte Schüler_innen mit individuellen Lernschwierigkeiten unterstützen können, Sprachen erfolgreich zu lernen. Diesbezüglich hob sie hervor, wie eben diese Schwierigkeiten im Klassenraum erkannt sowie deren Ursachen und Effekte verstanden werden können. Darüber hinaus stellte sie verschiedene Strategien und Techniken vor wie z.B. „accomodation, differentiation, self-awareness training, multisensory and multimodal learning“, um diese Schüler_innen individuell in ihrem Lernen zu begleiten. Nach KORMOS kann Inklusion gelingen, wenn eben diese Schlüsselelemente in den Unterricht integriert werden und Hilfestellung im gesamten Lernprozess gewährleistet wird. Sie stellt weiterhin fest “the more I research, the more I recognize that techniques originally recommended for dyslexia are profitable for everyone”. Demnach geschieht der vermeintliche „Mehraufwand“ für eine_n einzelne_n Schüler_in zu Gunsten der gesamten Klasse , denn alle können davon profitieren. KORMOS legte bei ihrem Vortrag den Fokus vorwiegend auf die Schwierigkeiten, da es ihrer Meinung nach wichtig sei, diese zu verstehen, um den Schüler_innen helfen zu können. Dennoch weist sie darauf hin, auch die Stärken der Schüler_innen wie Kreativität, Originalität, räumliches Denken, Problemlösefähigkeiten etc. nicht zu unterschätzen und wahrzunehmen.

Ein Vortrag, der genau an diese Stärken anknüpft und von vielen Teilnehmer_innen auf den ersten Blick als „the odd one out“ wahrgenommen wurde, war der von Dr. HEIKE NIESEN und Dr. JUDITH BÜNDGENS-KOSTEN (Goethe Universität Frankfurt) zur Berücksichtigung von Neurodiversität im Lehramtsstudium. Der Begriff ‚Neurodiversität‘ geht zurück auf die Autistic Pride Bewegung und definiert neurologische Unterschiede als natürliche Vielfalt des Menschens, die beispielsweise in Sinne der kulturellen und Biodiversität bereits in der Gesellschaft (meist) anerkannt ist. NIESEN und BÜNDGENS-KOSTEN fordern einen Paradigmenwechsel im Sinne von „diversity instead of disability“ und über den Tellerrand hinauszusehen, sodass von einem Kategoriendenken abgesehen und Diversität zelebriert wird sowie die Stärken der Schüler_innen im Vordergrund stehen. Im Rahmen eines Seminars an der Goethe Universität Frankfurt haben sie die Neurodiversitätsperspektive erprobt und mit den Studierenden reflektiert. Die Besonderheit ihres Konzepts zeichnet sich vor allem durch die Begegnung mit neurodivergenten Personen, wodurch ein Perspektivwechsel angeregt und nachvollziehbar(er) gestaltet werden konnte, um sowohl “Heroisierung” als auch “Defizitdenken” entgegenzuwirken.

Neben dem Stichwort ‘Inklusion’, ist derzeit ein weiterer Begriff essentiell für den aktuellen Bildungsdiskurs: Digitalisierung. Diese beiden Konzepte zu vereinen, versuchten einige der vorgestellten Projekte mit unterschiedlichen Medien sowie unter Berücksichtigung verschiedener Diversitätsmerkmale – und das mit Erfolg wie Unterrichtsbeispiele und -projekte zeigen. So ermöglicht das interkulturelle und globale Going Green Projekt von JOANNIS KALIAMPOS (Leuphana Universität Lüneburg) Inklusion sozial-ökonomisch zu realisieren, denn es verfolgt „das Vorhaben, Schüler_innen und Lehrkräften die Möglichkeit zu geben, digital an lernerorientierten Diskursen zu partizipieren“. Was diesen mit dem Vortrag Go digital eint, hoben VERA WINDMÜLLER-JESSE und MARCO TALARICO (QUA-LiS NRW, FL, ZfsL Bielefeld) hervor, nämlich dass „Digitalisierung Teilhabe ermöglicht“. Sie sehen vor allem die Partizipationsmöglichkeiten und Potenziale darin, dass die Lernenden im Unterricht die Verantwortung für das Lernen im Rahmen von guten Lernaufgaben selbst übernehmen. Damit einhergehen muss unabdingbar eine Forderung und Förderung von Medien- und Methodenkompetenz der Lehrkraft sowie der Schüler_innen. Eine gute Lernaufgabe steht in diesem Zusammenhang für eine Aufgabe, die Lernräume öffnet, individuelle Lernprozesse aktiviert und sichtbar macht, sodass die Lernenden zum ‚Prosumer‘ (Producer/Consumer) werden. Trotz möglicherweise fehlender Ressourcen wie Zeit und finanzielle Mittel oder der fehlenden Erfahrung, sehen WINDMÜLLER-JESSE und TALARICO vor allem Chancen und Möglichkeiten in der Nutzung von digitalen Medien und task-based language learning (TBLL). Vorteil ist beispielsweise, dass bei einem gemeinsamen Kleingruppenprojekt wie der Erstellung von Explainity-Clips die „individuelle Unterstützung seitens der Lehrkraft viel weniger eingefordert wurde“ wie TALARICO berichtet, da die Schüler_innen als Expert_innen einander helfen und die Medien selbst bereits als Unterstützung und Scaffolding dienen.

Der zweite Plenarvortrag von Prof. Dr. ROLF WERNING (Leibniz Universität Hannover) beleuchtete die aktuellen Grundlagen sowie Herausforderungen und Perspektiven des inklusiven Unterrichts in Deutschland – ein Vortrag, auf den sich viele Teilnehmer_innen im Vorhinein freuten. Er stellte zunächst die Fragen in den Raum „Trauen wir der Idee von Heterogenität? Und ist das überhaupt gut und lernförderlich?“ – insbesondere vor dem Hintergrund unseres derzeitigen Schulsystems. Unser, durch historische Entwicklungen eher selektiv ausgerichtetes Schulsystem, bot bislang keine bis wenig Erfahrungsmöglichkeiten im Hinblick auf Heterogenität – biografisch auch vielen der derzeit tätigen Lehrkräfte nicht -. WERNING stellte Inklusion als ein Konzept der institutionellen Entwicklung einer “Schule für alle” dar und fordert eine „Minimierung von Diskriminierung“ als auch „Maximierung von sozialer Teilhabe“. In diesem Sinne umfasst Inklusion eine Veränderung der Schulkultur, wobei nach WERNING „Inklusion kein Additum bleiben darf“. Vielmehr sollten die Themen Heterogenität und Individualität im Fokus der Schulentwicklung stehen.  

Am Beispiel der Preisträgerschulen des Jakob-Muth-Preises stellte WERNING Kriterien auf Basis seiner Forschungen vor, die gute inklusive Schulen kennzeichnen z.B: Kooperationszeit, Teamteaching, kontinuierliche Reflexion, individueller Leistungsgedanke oder gelebte Salutogenese. Zusammenfassend sagt er, „gute Inklusion ist fachlich und fachdidaktisch gute Inklusion. (…) und guter Unterricht ist guter inklusiver Unterricht“. Er distanzierte sich von einer Defizitdidaktik, welche von reduzierten Erwartungen geprägt ist und damit zu einer Reproduktion von Defiziten führt. Stattdessen beinhaltet der gute inklusive Unterricht Unterstützungsangebote, sodass jede_r Schüler_in am Unterricht teilnehmen und am gleichen Lerngegenstand arbeiten kann. WERNING fordert dementsprechend hohe positive Erwartungen an jede_n Schüler_in zu stellen,, unabhängig davon, ob eine “geistige Behinderung” oder einer “Hochbegabung” diagnostiziert wurde. Als guten Ansatz zur Forderung bzw. Förderung verweist er zum Schluss auf das “Universal Design for Learning (UDL)”, welches seinen Ursprung in der barrierefreien Architektur hat und interdisziplinär Aspekte der Sonderpädagogik, allgemeinen Pädagogik und Fachdidaktik vereint, um allen eine maximale Zugänglichkeit  zu gewähren.

Wie das UDL bei der Unterrichtsplanung und -reflexion genutzt werden kann, konnte von den Teilnehmer_innen in einem entsprechenden Workshop praktisch vertieft werden. Dort stellten KATHARINA KRAUSE und Prof. Dr. HENNING ROSSA (Technische Universität Dortmund, Universität Trier) eben dieses Konzept detailliert vor. Es unterstützt Lehrkräfte, von Beginn an so viele Heterogenitätsdimensionen wie möglich im Unterricht zu berücksichtigen. Trotz des sehr vielversprechenden und vielseitig anwendbaren Prinzips war es den Anwesenden überwiegend unbekannt. Mithilfe der Guidelines bzw. Checkliste konnten die Teilnehmer_innen Arbeitsblätter, Einsatz von Medien (z.B. Anybook Reader), Unterrichtsverläufe und Videoausschnitte auf die UDL-Prinzipien hin überprüfen, um Lernbarrieren zu identifizieren und Möglichkeiten der Verbesserung zu diskutieren.

Von der defizitorientierten hin zu einer diversitätsorientierten Bildung bildet die Grundlage für inklusiven Unterricht und ist damit zumeist eine Frage der Sonderpädagogik – die Perspektive, die von WERNING vertieft aufgezeigt wurde – da sie sich vielfach im Rahmen von sonderpädagogischem Förderbedarf von Schüler_innen stellt. Darüber hinaus betrifft dieses Konzept aber alle Formen von Heterogenität z.B. auch Schüler_innnen mit besonderen Begabungen, mit anderer Geschlechter-Identität oder Migrationshintergrund und anderen Erstsprachen als Deutsch oder Englisch.

Diesbezüglich werfen die migrationspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre Fragen auf, wie mit der migrationsbedingten, sprachlichen und kulturellen Vielfalt der Menschen umgegangen werden soll – insbesondere, wenn eben eine gemeinsame Sprache als Ausgangslage für eine Kommunikation im Englischunterricht zunächst meist fehlt. Möglichkeiten der Umsetzung und Herangehensweisen für die Unterrichtspraxis veranschaulichte Dr. HANNAH RUHM (Leibniz Universität Hannover) bei einem Shortcut und hob insbesondere die Wichtigkeit der Verknüpfungsmöglichkeiten (DaZ; Englisch als „Brückensprache; Sprachlernstrategien) sowie den Einbezug der Herkunftssprachen hervor. Dies stellte RUHM am Beispiel des Projekts Welcome to our school dar, in welchem unterschiedliche Niveaugruppen das Thema unter verschiedenen Schwerpunkten (Wortschatzarbeit, Sprachmittlung, Schreiben) erschließen. Dabei setzt RUHM die Sensibilisierung der Lehrkräfte für den Nachteilsausgleichs, den Unterstützungsbedarf und individualisiertes Lernen voraus, welches u.a. durch die Nutzung von Apps oder herkunftssprachlicher Wörterbücher sowie mehrsprachiger Arbeitsmaterialien realisiert werden kann. Zudem wurden den Teilnehmer_innen Tipps an die Hand gegeben, wie sie den Schüler_innen den Übergang von der Sprachlernklasse in den curriculumsbezogenen Englischunterricht der Klasse gut gestalten können. Nach RUHM sollte die „sprachliche Diversität als Gewinn für den Englischunterricht“ anerkannt und wertgeschätzt werden.

Eine ähnliche Perspektive vertrat CAROLIN ZEHNE (Universität Bielefeld) mit ihrem Vortrag zur Verbindung von inklusivem Englischunterricht und Englisch als Lingua Franca. Sie argumentierte im Kern, nicht das Material oder die Aufgabenstellung zu differenzieren, sondern den Ansatz zu verfolgen, dass durch Abrücken vom native-speaker Modell Raum geschaffen wird, den Inklusionsgedanken hinsichtlich individueller Lernziele zu entfalten.

Ein ganz praktischer, im Rahmen eines Theaterprojekts mit geflüchteten Kindern und einer 6. Klasse erprobten Zugangs wurde von NATASHA JANZEN ULBRICHT (Freie Universität Berlin) gezeigt und mit den Teilnehmer_innen im Workshop aktiv durchgeführt. Sie sagt, „movements and language are closely linked“ und erklärt, dass bewusst gestaltete und zuvor eingeführte, sich wiederholende Gesten einen höheren Lerneffekt haben als undefinierte Bewegungen sowie dass “codified gestures can help proceduralize preposition learning, resulting in an increased ability to generalize to new situations”. Dargestellt am Unterrichtsimpuls einer traditionellen polnischen Geschichte lernten die Teilnehmer_innen, einzelnen Sätze wie z.B. „The dragon eats all our sheep and all out cattle“ mit Gesten zu unterfüttern. Da selbst ein paar Stunden später, mindestens eine Teilnehmerin den Satz samt Gesten repetieren konnte, wird es deutlich, dass JANZEN ULBRICHTs Aussage Berechtigung hat.

Eine Heterogenitätsdimension, die im Rahmen der Inklusionsdebatte selten im Vordergrund steht, aber dennoch bedeutsam ist, insbesondere wenn man sich aktuelle gesellschaftspolitische Diskurse ansieht, ist die queere Inklusion. Mit dieser Perspektive beschäftigt sich Dr. THORSTEN MERSE (Ludwig-Maximilian-Universität München) und beleuchtete in seinem Vortrag die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, wobei er voraussetzt, dass Inklusion bereits als Teil des Englischunterrichts und im Schulsystem anerkannt ist. Fundiert auf der anti-oppressive pedagogy und dem Klassenraum als safe space, fordert er dazu auf, die Denkanstöße aus der Queer Theory zu nutzen, um auf die Normkritik der Binarität hinzuweisen sowie LGBTIQ* sichtbar zu machen und im Englischunterricht anzuerkennen, wie es beispielsweise im Kerncurriculum Niedersachsen oder auch in der Literatur bereits legitimiert wird. Insbesondere die nachfolgende Diskussion mit den Teilnehmer_innen verdeutlichte die Neugier wie auch Relevanz und Aktualität der Thematik, ganz gleich ob bei einer der ersten Units im Grundschulenglischunterricht zu family tree oder wenn es die Akzeptanz von LGBTIQ* Schüler_innen im Klassenverband thematisiert und diese in den Fokus des inklusiven Englischunterrichts gesetzt werden können – je nach individuellem Wunsch. Zur Realisierung schlug MERSE u.a. gemeinsame kritische Betrachtungen von Heteronormativität in Textbüchern, der People of NY-Website oder der Arbeit mit Literatur und Bilderbüchern And tango makes three vor. Wie letzteres dann im Unterricht aussehen kann, wurde im Plenum diskutiert. Zudem konnten sich die Teilnehmer_innen wiederum beim interaktiven Workshop ‚Picturebooks for everyone‘ von ANETTE IGEL (IATEFL IP&SEN SIG) überzeugen lassen, wie man Bilderbücher einsetzen kann – wenn auch thematisch etwas abseits dieser Dimension, aber zumindest die Tiere als Hauptcharaktere blieben bestehen.

Trotz all der inspirierenden wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den Vorträgen wie auch praktischen Unterrichtsimpulsen stellte sich die Frage, wie diese in der gegenwärtigen Lehrkräfteausbildung verankert werden können. Drei unterschiedliche Konzepte wurde diesbezüglich auf der Konferenz vorgestellt. Dabei legten Prof. Dr. KARIN VOGT (Pädagogische Hochschule Heidelberg) wie auch CAROLYN BLUME, Prof. Dr. TORBEN SCHMIDT (Leuphana Universität Lüneburg) und Dr. BIANCA ROTERS (QUA-LiS NRW) ihren Fokus auf eine Vorbereitung der Studierenden in einer frühen Professionalisierungsphase. VOGT sieht „einen hohen Bedarf in der Entwicklung und Erarbeitung von Handlungskompetenz in inklusiven Settings“, welcher an der pädagogischen Hochschule Heidelberg durch praxisorientierte und phasenübergreifende Kooperationen mit Schulen über einen Zeitraum von zwei Jahren umgesetzt wird. Sie möchte mit ihrem Projekt zeigen, „wie man auf einer lokalen Ebene, die lokale Inklusionsagenda im kleinen Rahmen mit wenigen Ressourcen und sinnvollen Konzepten durchführen kann“ durch beispielsweise die Einführung von Kooperationen, die Entwicklung von reflexivem Handlungswissen oder die Arbeit in multiprofessionellen Teams. Dabei unterstreicht sie, dass es notwendig ist, „in den bestehenden Strukturen Dinge zu verändern und nicht auf die großen äußeren Veränderungen im System zu warten.“

Im Rahmen ihrer Begleitforschung zu dem interdisziplinär ausgerichteten Bachelorseminar Teaching in heterogenous and inclusive contexts an der Leuphana Universität mithilfe multiperspektivischer Klassenraum-Videographie legten BLUME, ROTERS und SCHMIDT ihren Fokus auf die Haltungen und Reflexionskompetenzen angehender Lehrkräfte im Inklusivem Englischunterricht. In dem Seminar wurde versucht, die Studierenden auf englischspezifische und inklusive Themen vorzubereiten. Sie zeigten empirisch auf, dass sich bereits innerhalb eines Semesters die unterschiedlichen Aspekte des Seminars die Haltungen zum inklusiven Englischunterricht verändern kann. In Zusammenhang mit diesem Projekt steht ein zweites am ZZL-Netzwerk Lehrerbildung, welches von ROBIN STRAUB, STEFAN SPÖHRER und LEA MEIMERSTORF präsentiert wurde. Wenn auch immer noch in der Universität verankert, konzipierte und begleitete  das Entwicklungsteam TIES – Teaching in Inclusive Setting das Seminar von SCHMIDT et al. in einem kooperativen Ansatz. Dabei verfolgt dieses Projekt das Ziel, „ein Heterogenitätsseminar zu kreieren, welches in die Lehrkräfteausbildung integriert werden kann“. Die Entwicklungsteams sehen sich als „Third Space“ als Plattform für einen multiprofessionellen Austausch zwischen den verschiedenen Akteur_innen aus dem Bildungssystem über die verschiedenen Phasen und Expertisen hinweg, um sowohl voneinander zu lernen als auch Theorie und Praxis zu verzahnen und gemeinsam auszudiskutieren. Dies impliziert folglich alle von Studierenden oder Referendar_innen über Lehrkräfte, Sonderpädagog_innen und Studienseminarleiter_innen bis zu Fachdidaktiker_innen. So betont Straub, dass Inklusion und inklusiver Englischunterricht gelingen kann, wenn sie „als kooperative Aufgabe und gemeinsame Herausforderung gesehen wird, die die Einbindung verschiedener Expertisen bedarf und einschließt“ sowie wenn einander wertschätzend und offen begegnet wird.

Abschließend lässt sich festhalten, dass in diesem Bericht lediglich ein kleiner Ausschnitt aller Vorträge der Konferenz vorgestellt werden kann und viele Themen, die im Rahmen der Konferenz bearbeitet wurden wie z.B. einzelne Kompetenzen, das Schreiben im inklusiven Englischunterricht, der kommunikative Sprachenunterricht, inspirierende Unterrichtsideen oder einzelne Schwerpunkte wie Sehen oder LRS nicht berücksichtigt werden können. Eben dies spiegelt aber auch die thematische Vielfalt der Konferenz wieder, wodurch die Teilnehmer_innen das ein oder andere Mal die Qual der Wahl hatten, bei der Entscheidung wider oder für einen Vortrag. Darüber hinaus wurde die Tagung charakterisiert durch ihre einzigartige Verzahnung von Theorie und Praxis, die es einem nicht nur erlaubte, über den eigenen Tellerrand zu schauen, sondern überdies auch in den direkten Austausch zu treten mit Menschen anderer Expertise und Perspektiven: „Die Mischung und Abwechslung machts! Von Networking über Unterrichtspraxis bis zu Forschung und Verlage“ trifft es eine Teilnehmerin auf den Punkt.

Doch wo stehen wir heute und wofür steht denn nun „guter inklusiver Englischunterricht“? Es mangelt derzeit sowohl an fachdidaktischer Expertise als auch an Wahlmöglichkeiten, an Materialien, an Ressourcen (z.B. Endgeräte, Personal) und einer Ausbildung, die das Wissen über entsprechende Themenkomplexe und Differenzierungsmöglichkeiten erweitert. Auch gelernte und biografische Denkstrukturen und Haltungen der Lehrkräfte müssen verändert werden, um Inklusion realisieren zu können, ist die allgemeine Forderung. Nichtsdestotrotz bewegen wir uns. “Inclusion is a process of a never-ending story” nach KORMOS und es gibt selbstverständlich kein Patentrezept. Doch worin sich viele auf der Konferenz einig waren, ist, dass „guter inklusiver Englischunterricht“ im Grunde nichts anderes als guter Englischunterricht ist, nämlich ein Unterricht, der kompetenzorientiert sowie differenziert an den Lernenden orientiert ist und die gesamte Bandbreite unterschiedlicher Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse ernst nimmt. Das bedeutet nicht, dass die Lehrkraft 28 unterschiedliche Arbeitsblätter erstellen soll, sondern Lerngelegenheiten und individuelle Unterstützungsangebote geschaffen werden müssen, um an einem gemeinsamen Lerngegenstand zu arbeiten, welcher individuelle Stärken fördert und zu einem individuellen Lernerfolg führt. In diesem Sinne ist ein Englischunterricht zu kreieren, „der allen Kindern – unabhängig von ihren individuellen Bedürfnissen – die Tür öffnet, über die englische Sprache unsere globalisierte Welt zu erleben“ (Studentin, Leuphana Universität Lüneburg). Wie das funktionieren kann, wurde auf vielfältige Art und Weise theoretisch und praktisch in den Vorträgen, Shortcuts und Workshops präsentiert. Es zeigt, wir sind auf Weg! Wenn wir der Idee des inklusiven Englischunterrichts realistisch begegnen möchten, brauchen wir eigentlich nur noch ein wenig mehr Offenheit, Flexibilität, Selbstreflexion und Mut – Mut sich auszuprobieren, Mut Fehler zu machen, Mut Perspektiven zu wechseln, Mut neue Wege zu gehen.

Literaturverzeichnis

Bundesgesetzblatt (2008). Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. In: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2008 Teil II Nr. 35, ausgegeben zu Bonn am 31. Dezember 2008. Online verfügbar unter <https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/media/B5C74C3100AB585BC09AA4555AF66096/bgbl208s1419_57967.pdf>, zuletzt geprüft am 20.11.2018.

Trautmann, M. (2010). Heterogenität – (k)ein Thema der Fremdsprachendidaktik. Online verfügbar unter <http://www.bag-englisch.de/wp-content/uploads/2010/01/Heterogenit%C3%A4t-Trautmann.pdf>, zuletzt geprüft am 18.11.2018.

Die Gastautorin

Jana-Luise Bimkiewicz ist Masterstudentin im Lehramt für die Fächer Englisch, Mathematik und Musik an der Leuphana Universität Lüneburg und studentische Hilfskraft in den dortigen Arbeitsbereichen Englischdidaktik und englische Sprachwissenschaft.

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